[OPE-L] Lenin on rationality and irrationality in philosophy (German)

From: Dogan Goecmen (Dogangoecmen@AOL.COM)
Date: Wed Dec 06 2006 - 07:27:50 EST


Below and in the attachment there is a short article of mine on Lenin's  
critique and defence of the achievements of classical German philosophy. It will  
appear soon in a German daily paper. Any critique is welcome.
 
Dogan
 
 
 
 
 
„In der Erkenntnistheorie muß man, ebenso wie auf allen  anderen Gebieten der 
Wissenschaft, dialektisch  denken...“ 

Lenin: die dialektische Vernunft in  Aktion 

Doğan  Göçmen 
Der  ‚metaphysische’ Täter als „der größte Denker“ seit Marx! 
Lenin gehört zu jener Generation der marxistischen  Politiker, die einen 
umfassenden philosophischen und hohen wissenschaftlichen  Anspruch hatte. Georg 
Luckács hat ihn als den „größte[n] Denker (...) seit  Marx“_[1]_ 
(aoldb://mail/write/template.htm#_ftn1)  bezeichnet und darauf hingewiesen, daß die  
Arbeiterbewegung und der sozialistische Kampf „dringend einen heutigen Lenin“  
braucht, der „im Stande ist, den heutigen Stand der marxistischen Theorie in  
politischen Aktionen“_[2]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn2)  umzusetzen. 
Dies deutet auf den Stellenwert der  Philosophie im Leninschen Werk hin. „Alles 
ist Politik,“ sagt Gramsci, „auch die  Philosophie oder die Philosophien 
(...), und die einzige ‚Philosophie’ ist die  Geschichte in Aktion, das heißt das 
Leben selbst. In diesem Sinn läßt sich die  These vom deutschen Proletariat 
als Erbe der klassischen deutschen Philosophie  interpretieren – und läßt sich 
behaupten, daß die von Iljitsch gemachte  Theorisierung und Verwirklichung der 
Hegemonie auch ein großes ‚metaphysisches’  Ereignis gewesen ist.“_[3]_ 
(aoldb://mail/write/template.htm#_ftn3)  
Gramsci verweist hier auf Engels’ Aussage, daß die  „deutsche 
Arbeiterbewegung (...) die Erbin der deutschen klassischen  Philosophie“ sei._[4]_ 
(aoldb://mail/write/template.htm#_ftn4)  Er stellt damit Lenin in die Tradition der  
klassischen deutschen Philosophie, deren Universalisierung Lenin durch die  
Oktoberrevolution wie kein andrer bewirkt hat. 
Lenins philosophischer Kampf zu Beginn des 20.  Jahrhundert richtet sich 
gegen die irrationalistischen Strömungen, die sich alle  in einer oder anderer 
Weise auf Ernst Mach beziehen. Im Mittelpunkt dieser  Auseinadersetzung steht das 
Erbe der klassischen deutschen Philosophie, die sich  am Kants Konzept des „
Ding an-sich“, das er in der „Kritik der reinen Vernunft“  zur Bezeichnung des 
Wesens der äußeren Gegenstände zu einer Kategorie erhoben  hat, entzündet 
hatte. Nun kann man fragen, wo Lenin seine Philosophie dargelegt  hat. Auf die 
Frage, wo Marx seine materialistische Geschichtsauffassung, d. h.  die Theorie 
der proletarischen Befreiung dargelegt habe, antwortete Lenin mit  einer 
Gegenfrage: „In welchem Werk hat Marx seine materialistische  Geschichtsauffassung 
nicht dargelegt?“_[5]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn5)  Im Analog dazu 
kann man auf die Frage, wo Lenin  seine Philosophie dargelegt habe, sagen: ‚In 
welcher Schrift und dem Werk hat  Lenin seine Philosophie nicht dargelegt?’ 
Sein ganzes Werk ist durchdrungen von  einer dialektischen Philosophie, die er 
sich durch sein ständiges Studium der  Werke der klassischen deutschen 
Philosophie und von Marx und Engels angeeignet  hat, das in seinen „Philosophische[n] 
Hefte“ bestens dokumentiert ist. Doch im  engeren Sinne des Wortes ist sein 
philosophisches Hauptwerk der im Mai 1909  erschienene „Materialismus und 
Empiriokritismus“, das ich diesem Aufsatz zu  Grunde lege. 
Was hat es nun mit dem „Ding an-sich“ auf  sich? 
Lenin charakterisiert die Kantsche Philosophie als  ein Versuch zur „
Aussöhnung des Materialismus mit dem Idealismus, ein Kompromiß  zwischen beiden, eine 
Verknüpfung verschiedenartiger, einander widersprechender  philosophischer 
Richtungen zu einem System.“ (14, 195; hernach nur Seitenangaben  in Klammern.) 
Das Kantsche System ist vom Beginn diesem Versöhnungsversuch  zugeschnitten. Er 
hat das in der „Prolegomena zu einer jeden künftigen  Metaphysik“ von 1873 
so formuliert: Wenn ich zugebe, daß „‚alle Körper mitsamt  dem Raume, darin 
sie sich befinden, für nichts als bloße Vorstellung in uns  gehalten werden und 
existieren nirgend anders als bloß in unseren Gedanken.’ Ist  dieses nun nicht 
der offenbare Idealismus?“_[6]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn6)  Das 
ist purer Idealismus. Aber, ‚nein’!, sagt  Kant, 'das ist nicht das Ganze 
meiner Philosophie'. Denn: „Der Idealismus  besteht in der Behauptung, daß es 
keine anderen als denkende Wesen gebe; die  übrigen Dinge, die wir in der 
Anschauung wahrzunehmen glauben, wären nur  Vorstellungen in den denkenden Wesen, 
denen in der Tat keine außerhalb diesen  befindlicher Gegenstand korrespondierte.“
 (Prolegomena, 41/2) Das wäre, wie Kant  richtig hervorhebt, ein 
idealistischer Standpunkt, weil er dem erkennenden Wesen  alles, was außer ihm existiert, 
aus sich produzieren läßt. Kant will aber nicht  soweit gehen. Er will nur 
behaupten, daß nur die noch nicht inhaltlich  bestimmten reinen Begriffe a priori 
aus Vorstellung produziert werden können.  Deshalb deutet er auf den 
materialistischen Aspekt seiner Erkenntnistheorie:  „Ich dagegen sage: Es sind uns 
Dinge als außer uns befindliche Gegenstände  unserer Sinne gegeben, denen wir die 
Benennung eines Körpers geben“, eines  „wirklichen Gegenstandes“. Er fragt 
dann: „Kann man dieses wohl Idealismus  nennen? Es ist ja gerade das Gegenteil 
davon.“ (Prolegomena, 42) 
Kant konstruiert hier ein  Subjekt-Objekt-Verhältnis und gibt eine Antwort 
auf die Grundfrage der  Philosophie aller Zeiten, wie das Verhältnis vom Sein 
und Bewußtsein zu  verstehen sei. Er definiert dabei das Ziel eines jeden 
erkenntnistheoretischen  Akts als die Aneignung des Objekts durch das Subjekt, damit 
die „Gegenstände für  uns“_[7]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn7)  
werden. Seine Erkenntnistheorie ist also durchaus  praktisch orientiert. Diese 
praktische Orientierung ist aber nicht im Sinne von  Marx und Engels zu 
verstehen, die die Arbeit als die Tätigkeit zur Aneignung der  Gegenstände definieren, 
sondern im elitistischen Sinne, die die eigentliche  ‚Dreckarbeit’ scheut. 
Kant gibt zwar zu, daß die Gegenstände außer uns  liegen, spaltet sie aber in 
zwei Existenzformen: Wesen und Erscheinung und  behauptet dabei, daß das 
Wesen der Gegenstände, also das Ding an-sich, nicht  erkannt werden könne und auch 
„gänzlich unbekannt“ bleiben werde. (Prolegomena,  42) Deshalb „von dem was 
sie [Gegenstände,-DG] an sich selbst sein mögen, wissen  wir nichts, sondern 
kennen nur ihre Erscheinungen, d. i. die Vorstellungen, die  sie in uns wirken, 
indem sie unsere Sinne affizieren.“ (Prolegomena, 42) Dieser  Grundsatz der 
Kantschen Philosophie ist der Gegenstand der Auseinandersetzung  Lenins mit den 
Irrationalismen in der Philosophie zu Beginn des 20.  Jahrhunderts. 
Hier definiert Kant die äußerste Grenze, die die  bürgerliche Philosophie 
nicht überschreiten kann. Die bürgerliche Philosophie  nach Kant hat sich nicht 
umsonst darauf beharrt und es als Anlaß genommen, das  philosophische Ringen um 
die Wahrheit zunächst aufs Eis zu legen, wie Hegel  darauf hingewiesen hat: „
Das bei uns am weitesten verbreitete Philosophieren  tritt nicht aus den 
Kantschen  Resultaten, daß die Vernunft keinen wahren Gehalt erkennen könne und 
Ansehung  der absoluten Wahrheit auf das Glauben zu verweisen sei, heraus. Was 
aber bei  Kant Resultat ist, damit wird in diesem Philosophieren unmittelbar 
angefangen,  damit die vorhergehende Ausführung, aus welcher jenes Resultat 
herkommt und  welche philosophisches Erkennen ist, vorweggeschnitten. Die Kantsche 
Philosophie  dient so als ein Polster für die Trägheit des Denkens, die sich 
damit beruhigt,  daß bereits alles bewiesen und abgetan sei.“_[8]_ 
(aoldb://mail/write/template.htm#_ftn8)  
Spätestens in der Zeit nach 1848 ist die  bürgerliche Philosophie nicht mehr 
am Status quo interessiert. Es geht ihr nur  noch um reaktionäre Zerstörung 
und die Zurücknahme des Zugeständnisses Kants an  den Materialismus. „Wenn Kant 
zugibt,“ sagt Lenin, „daß unseren Vorstellungen  etwas außer uns, irgendein 
Ding an sich, entspreche, so ist er hierin  Materialist. Wenn er dieses Ding an 
sich für unerkennbar, transzendent,  jenseitig erklärt, tritt er als Idealist 
auf. (...) Wegen dieser Halbheit Kants  führten sowohl die konsequenten 
Materialisten als auch die konsequenten  Idealisten (und ebenso die reinen 
Agnostiker, die Humeisten) einen  schonungslosen Kampf gegen ihn.“ (195) Deshalb 
unterscheidet er zwischen der  rechten und linken Kritik an der Kantischen 
Philosophie. 
Das „Reaktionäre in der  Philosophie“ 
Die rechte Kritik an Kant kann auf die in der  gegenwärtigen Debatte um den 
sogenannten Postmodernismus bekannte Aussage  reduziert werden, daß die 
Wahrheit beliebig sei, was ja darauf hindeutet, wie  aktuell Lenins 
Auseinandersetzung mit den Epriokritikern („Machisten“) ist.  Lenin faßt alle Formen der 
rechten Kritik an Kant unter dem Begriff das  „Reaktionäre in der Philosophie“ 
(105) zusammen. Die reaktionäre Kritik wirft  Kant vor, daß er überhaupt so etwas 
wie ein Ding an-sich angenommen hat, das  unabhängig von uns existiert und 
läßt sich auf Ernst Machs folgende Behauptung  reduzieren: „Die Empfindungen 
sind auch keine ‚Symbole der Dinge’. Vielmehr ist  das ‚Ding’ ein 
Gedankensymbol...“ (32) Wenn man diese erkenntnistheoretische  Haltung akzeptiert wird, 
sagt Lenin, dann muß man auch sagen können: „Also  existiert die Empfindung ohne ‚
Substanz’, d. h., der Gedanke existiert ohne  Gehirn!“ 
Die Irrationalität dieser Philosophien liegt nach  Lenin vor allem in ihrer 
solipsistischen Haltung, die die Außenwelt auf das  Produkt der Vorstellung des 
abstrakten Ichs reduziert. Denn die Empfindung wird  „nicht für die 
Verbindung des Bewußtseins mit der Außenwelt, sondern für eine  Scheidewand gehalten 
(...), für eine Mauer, die das Bewußtsein von der Außenwelt  trennt“. (43) Wie 
soll aber jemand ohne zu fühlen und zu sehen irgendetwas  erkennen. Gibt z. B. 
Mach nicht zu, „daß die objektive, unabhängig von uns  existierende Realität 
den ‚sinnlichen Inhalt’ ausmacht, so bleibt ihm nur ein  ‚bloßes abstraktes’ 
Ich, (...) ‚das taumelnde Spinett, das dachte, es sei das  einzige, so auf der 
Welt vorhanden sei’“ (34) So folgt aber „hieraus mit  Notwendigkeit, daß die 
ganze Welt nur meine Vorstellung ist“ – eine Prinzip, das  in der 
Schopenhauerschen Philosophie herumspukt. (33) Aber von „dieser Annahme  ausgehend, ist 
es unmöglich, zu der Existenz anderer Menschen außer sich selbst  zu gelangen: 
das ist reinster Solipsismus.“ (33) Damit reduziert man aber alles,  was ist, 
auf reine Symbole; damit verkommt die Wahrheit zur Beliebigkeit. Denn  wenn 
man zugibt, daß alles, was ist, aus den Vorstellungen der Ichs produziert  
wird, akzeptiert man auch, daß es auch beliebig so viele symbolische Wahrheiten  
wie Ichs geben wird - eine „hirnlose Philosophie“. (40) 
Das Vernünftige in der  Philosophie 
Diese von Berkeley und Hume stammende reaktionäre  Haltung sieht Lenin 
bereits in der Kantschen Philosophie angelegt, weil sie zum  einen den Raum und Zeit 
zur Anschauungsformen reduziert; zum zweiten die  Begriffe vor jeder 
Erfahrung im Verstand für gegeben hält und zum dritten die  Möglichkeit der Erkenntnis 
des Wesens verneint. Diese Annahme Lenins impliziert,  daß es in der 
Kantschen Philosophie auch eine progressive Linie gibt. Die linke  Kritik, die mit 
Hegel beginnt und über Ludwig Feuerbach in Marxens und Engels’  Werk mündet, ist 
an der Weiterentwicklung der progressiven Linie  interessiert. 
Lenin sieht in der deutschen Philosophie vor Marx  zwei Höhepunkte, hinter 
die die Kritik an Kant nicht zurückfallen darf, nämlich  die Hegelsche Dialektik 
und der Feuerbachsche Materialismus. Wie Engels betont  auch Lenin, daß die 
Frage, ob das Ding an-sich erkannt werden könne, bereits  durch die Hegelsche 
Dialektik, eine „echte Perle“, gegeben worden ist. (241)  Hegel seinerseits 
betont, daß der „Verdienst“ der Kantschen Philosophie „durch  das, was an ihr 
ausgesetzt werden möge, ihr ungeschmälert bleibt“. (WdL I, 59fn)  Worin besteht 
nun der Verdienst Kants? Hegel hebt hervor: „Kant hat die  Dialektik höher 
gestellt (...), indem er ihr den Schein von Willkür nahm (...)  und sie als ein 
notwendiges Tun der  Vernunft darstellte.“ (WdL I, 52) Kants Antinomien der 
reinen Vernunft mögen wenig lob verdienen, „aber die  allgemeine Idee, die er 
zugrunde gelegt und geltend gemacht hat, ist die Objektivität des Scheins und 
Notwendigkeit des Widerspruchs, der zur  Natur der Denkbestimmungen gehört“. 
(WdL I, 52) Hegels Kritik an Kant will genau  das Gegenteil von dem Tun, was 
später der Neokantianismus bzw. Neopositivismus  getan hat, nämlich im Rahmen 
seiner Dialektik die Objektivität und Erkennbarkeit  des Wesen beweisen, das Kant 
gerade deshalb nicht leisten konnte, weil er die  Dialektik auf eine „Logik 
des Scheins“ reduziert hatte. (KdrV, 170) 
Nach Hegel liegt Kants wesentlicher Fehler darin,  daß er die Gegenstände 
nicht im Verhältnis zueinander sieht. Deshalb erscheinen  ihm auch die 
Eigenschaften der Gegenstände nicht als verschiedene  Ausdrucksformen desselben Wesens. „
Das  Ding an-sich, als das einfache Reflektiertsein der Existenz in sich, ist 
 nicht der Grund des unwesentlichen Daseins; es ist die unbewegte, 
unbestimmte  Einheit, weil es eben die Bestimmung hat, die aufgehobene Vermittlung zu 
sein,  und nur die Grundlage desselben.“  (WdL II, 130) Die Eigenschaften des 
Zuckers mögen z. B. dem Pfeffer unwesentlich  erscheinen, weil er andere 
Eigenschaften hat. Wenn man aber die Eigenschaften  des Zuckers an sich betrachtet, 
dann kann man nicht mehr behaupten, daß seine  Eigenschaft, süß zu sein, nicht 
dem Wesen des Zuckers gehört: „Das Ding an-sich  hat Farbe erst an das Auge 
gebracht, Geschmack an die Nase usf.“  (Ebd) 
Im Rahmen der Hegelschen Dialektik wird das  Kantsche Ding an-sich zur 
erkennbaren absoluten Idee. Hegel faßt, sagt Lenin, in  diesem Konzept alle 
Widersprüche der Kantschen und Fichteschen Philosophie so  zusammen, daß er sie auf 
die Spitze treibt. Von da aus ist dann nur noch ein  Schritt zu tun, um zu einer 
materialistischen Philosophie zu gelangen.  (230) 
Dieser kritische Gang muß aber den „genial-wahren  Kern“ der Hegelschen 
Dialektik aufheben. (313) Seine Kritik an Hegel will Lenin  nicht so verstanden 
haben, daß sie Marx von seinen Quellen abschneidet, was von  Marxens Gegnern 
immer wieder versucht wird, um ihn indirekt anzugreifen, sondern  in dem Sinne, 
daß die Dialektik im Marxismus aufgehoben wird. Denn nur im Rahmen  einer 
dialektischen Philosophie kann das Wahre und Falsche, die absolute und  relative 
Wahrheit, die Notwendigkeit und Freiheit usw. in ein vernünftiges  Verhältnis 
zueinander gebracht werden. Nur so kann es den Anspruch Hegels, das  Ganze sei 
das Wahre, einlösen und die Dialektik als Wissenschaft der allgemeinen  Gesetze 
sowohl der äußeren Welt als auch des Denkens etablieren. 
Es muß dabei gezeigt werden, daß das Wissen zum  einen von der Sinnlichkeit 
zum Denken als Widerspiegelung der äußeren Welt  aufsteigt und zum anderen sich 
historisch vom Nichtwissen zum Wissen bzw.  absoluten Wissen entwickelt, 
indem der Mensch immer mehr in die verborgenen  Bereiche der Natur vordringt: „Das 
menschliche Denken ist also seiner Natur nach  fähig, uns die absolute 
Wahrheit, die sich aus der Summe der relativen  Wahrheiten zusammensetzt, zu 
vermitteln, und es tut dies auch. Jede Stufe in der  Entwicklung der Wissenschaft 
fügt dieser Summe der absoluten Wahrheit neue  Körnchen hinzu; aber die Grenzen 
der Wahrheit jedes wissenschaftlichen Satzes  sind relativ und können durch die 
weitere Entwicklung des Wissens entweder  weiter oder enger gezogen werden.“ 
(129) 
Praxis als Kriterium der  Wahrheit 
Im Anschluß an Marx und Engels definiert Lenin die  Praxis als das Kriterium 
der Wahrheit. „Der Gesichtspunkt des Lebens, der Praxis  muß der erste und 
grundlegende Gesichtspunkt der Erkenntnistheorie sein. (...)  Freilich darf dabei 
 nicht vergessen  werden, daß das Kriterium der Praxis schon dem Wesen der 
Sache nach niemals  irgendeine menschliche vollständig  bestätigen oder 
widerlegen kann“, was uns dabei hindert in irgendein Dogma des  ewigen „Absolutum“ zu 
verfallen. (137) „Vom Standpunkt des modernen  Materialismus, d. h. des 
Marxismus, sind die Grenzen der Annäherung unserer  Kenntnisse an die objektive, 
absolute Wahrheit geschichtlich bedingt, unbedingt aber ist die Existenz dieser  
Wahrheit selbst, unbedingt ist, daß wir uns ihr nähern.“ (130) 
Obwohl Lenin einräumt, daß die absolute  Wahrheit nie vollständig erreicht 
werden kann, besteht er darauf, daß ihre  Möglichkeit immer angenommen werden 
muß. Man kann hierfür viele  erkenntnistheoretische Argumente aufführen. Ich 
möchte, um auf das Zitat von  Gramsci, der Lenin als die Quelle seiner Theorie 
der Hegemonie ausweist, zurück  zu kommen, einen politischen Grund nennen, der 
zeigt wie Lenin die Dialektik auf  Politik anwendet. Gramsci sagt, daß Lenins „
Theorisierung und Verwirklichung der  Hegemonie auch [als] ein großes ‚
metaphysisches’ Ereignis“ gesehen werden kann.  Hier deutet Gramsci wie eng Lenins 
politische Theorie und Praxis mit seiner  Erkenntnistheorie in zusammen hangt. 
Lenin hat immer wieder betont, daß die  absolute Wahrheit nie zu erschließen 
ist, aber die Annahme ihrer Möglichkeit uns  vor großen Fehler schützen kann. 
Wie hängt das mit Politik zusammen? Lenin hat  unzählige Male Hegels Dialektik 
als „revolutionär“ bezeichnet. Warum? Darüber  möchte ich Lenin selbst zu 
Wort kommen lassen, der zeigt, wie die Dialektik von  Teil und Ganze, von 
Qualität und Quantität in politische Aktion umgesetzt werden  kann: „Der dialektische 
Prozeß der Entwicklung bringt wirklich schon im Schoße  des Kapitalismus 
Elemente der neuen Gesellschaft hervor, sowohl materielle als  auch geistige 
Elemente. Doch die Sozialisten müssen es verstehen, die Stückchen  vom Ganzen zu 
unterscheiden, müssen das Ganze und nicht die Stückchen als Losung  aufstellen.“ 
(9, 370) Sie dürfen nicht übersehen, „daß all diese Stückchen der  Umwälzung, 
wenn der Aufstand siegt, unweigerlich zu einem einheitlichen, in sich  
geschlossenen ‚Epilog’ des Aufstands verschmelzen werden, während die Stückchen,  
wenn der Aufstand nicht siegt, eben Stückchen bleiben, klägliche Stückchen, die 
 nichts ändern und nur Philister zufriedenstellen“ (9, 371) 

 
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_[1]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref1)  Georg Luckács, Lenin, 
Luchterhand 1969, S.  7.
 
_[2]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref2)  Hans Heinz Holz, Leo 
Kofler, Wolfgang Abendroth,  Gespräche mit Georg Luckács, hrsg. Theo Pinkuns, 
Rowohlt, 1967, S.  71.
 
_[3]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref3)  Antonio Gramsci, 
Gefängnishefte (Argument-Verlag,  Hamburg 1992), Bd. 4, S. 892.
 
_[4]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref4)  F. Engels, Ludwig Feuerbach 
und der Ausgang der  klassischen deutschen Philosophie (Dietz Verlag, Berlin 
1984), in  Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 21, S. 307; vgl.  auch F. Engels, Die 
Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft  (Dietz Verlag, 
Berlin 1987), in MEW, Bd. 19,  S. 188.
 
_[5]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref5)  W. I. Lenin, Was sind die „
Volksfreunde“ und wie kämpfen  sie gegen die Sozialdemokratie, in Lenin-Werke 
(Dietz Verlag, Berlin 1961), Bd.  1, S. 134, (im Folgenden im Text 1, 134 
usw.).
 
_[6]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref6)  I. Kant, Prolegomena zu 
einer jeden künftigen Metaphysik  (hrsg. K. Vorländer), S. 41, Hamburg: Felix 
Meiner Verlag 1993 (im Folgenden:  Prolegomena, 41 usw.).
 
_[7]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref7)  I. Kant Kritik der reinen 
Vernunft (hersg. J.  Timmermann), S. 170, Hamburg: Felix Meiner Verlag 1998 (im 
Folgenden: KdrV, 170  usw.).
 
_[8]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref8)  G.W.F. Hegel, Wissenschaft 
der Logik (Hrsg. E.  Moldenhauer und K. M. Michel), Frankfurt a. M.: Suhrkamp 
1993, Bd. 1, S. 59fn  (im Folgenden im Text: WdL I, 59fn  usw.).









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