From: Dogan Goecmen (Dogangoecmen@AOL.COM)
Date: Wed Dec 06 2006 - 07:27:50 EST
Below and in the attachment there is a short article of mine on Lenin's critique and defence of the achievements of classical German philosophy. It will appear soon in a German daily paper. Any critique is welcome. Dogan „In der Erkenntnistheorie muß man, ebenso wie auf allen anderen Gebieten der Wissenschaft, dialektisch denken...“ Lenin: die dialektische Vernunft in Aktion Doğan Göçmen Der ‚metaphysische’ Täter als „der größte Denker“ seit Marx! Lenin gehört zu jener Generation der marxistischen Politiker, die einen umfassenden philosophischen und hohen wissenschaftlichen Anspruch hatte. Georg Luckács hat ihn als den „größte[n] Denker (...) seit Marx“_[1]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn1) bezeichnet und darauf hingewiesen, daß die Arbeiterbewegung und der sozialistische Kampf „dringend einen heutigen Lenin“ braucht, der „im Stande ist, den heutigen Stand der marxistischen Theorie in politischen Aktionen“_[2]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn2) umzusetzen. Dies deutet auf den Stellenwert der Philosophie im Leninschen Werk hin. „Alles ist Politik,“ sagt Gramsci, „auch die Philosophie oder die Philosophien (...), und die einzige ‚Philosophie’ ist die Geschichte in Aktion, das heißt das Leben selbst. In diesem Sinn läßt sich die These vom deutschen Proletariat als Erbe der klassischen deutschen Philosophie interpretieren – und läßt sich behaupten, daß die von Iljitsch gemachte Theorisierung und Verwirklichung der Hegemonie auch ein großes ‚metaphysisches’ Ereignis gewesen ist.“_[3]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn3) Gramsci verweist hier auf Engels’ Aussage, daß die „deutsche Arbeiterbewegung (...) die Erbin der deutschen klassischen Philosophie“ sei._[4]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn4) Er stellt damit Lenin in die Tradition der klassischen deutschen Philosophie, deren Universalisierung Lenin durch die Oktoberrevolution wie kein andrer bewirkt hat. Lenins philosophischer Kampf zu Beginn des 20. Jahrhundert richtet sich gegen die irrationalistischen Strömungen, die sich alle in einer oder anderer Weise auf Ernst Mach beziehen. Im Mittelpunkt dieser Auseinadersetzung steht das Erbe der klassischen deutschen Philosophie, die sich am Kants Konzept des „ Ding an-sich“, das er in der „Kritik der reinen Vernunft“ zur Bezeichnung des Wesens der äußeren Gegenstände zu einer Kategorie erhoben hat, entzündet hatte. Nun kann man fragen, wo Lenin seine Philosophie dargelegt hat. Auf die Frage, wo Marx seine materialistische Geschichtsauffassung, d. h. die Theorie der proletarischen Befreiung dargelegt habe, antwortete Lenin mit einer Gegenfrage: „In welchem Werk hat Marx seine materialistische Geschichtsauffassung nicht dargelegt?“_[5]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn5) Im Analog dazu kann man auf die Frage, wo Lenin seine Philosophie dargelegt habe, sagen: ‚In welcher Schrift und dem Werk hat Lenin seine Philosophie nicht dargelegt?’ Sein ganzes Werk ist durchdrungen von einer dialektischen Philosophie, die er sich durch sein ständiges Studium der Werke der klassischen deutschen Philosophie und von Marx und Engels angeeignet hat, das in seinen „Philosophische[n] Hefte“ bestens dokumentiert ist. Doch im engeren Sinne des Wortes ist sein philosophisches Hauptwerk der im Mai 1909 erschienene „Materialismus und Empiriokritismus“, das ich diesem Aufsatz zu Grunde lege. Was hat es nun mit dem „Ding an-sich“ auf sich? Lenin charakterisiert die Kantsche Philosophie als ein Versuch zur „ Aussöhnung des Materialismus mit dem Idealismus, ein Kompromiß zwischen beiden, eine Verknüpfung verschiedenartiger, einander widersprechender philosophischer Richtungen zu einem System.“ (14, 195; hernach nur Seitenangaben in Klammern.) Das Kantsche System ist vom Beginn diesem Versöhnungsversuch zugeschnitten. Er hat das in der „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik“ von 1873 so formuliert: Wenn ich zugebe, daß „‚alle Körper mitsamt dem Raume, darin sie sich befinden, für nichts als bloße Vorstellung in uns gehalten werden und existieren nirgend anders als bloß in unseren Gedanken.’ Ist dieses nun nicht der offenbare Idealismus?“_[6]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn6) Das ist purer Idealismus. Aber, ‚nein’!, sagt Kant, 'das ist nicht das Ganze meiner Philosophie'. Denn: „Der Idealismus besteht in der Behauptung, daß es keine anderen als denkende Wesen gebe; die übrigen Dinge, die wir in der Anschauung wahrzunehmen glauben, wären nur Vorstellungen in den denkenden Wesen, denen in der Tat keine außerhalb diesen befindlicher Gegenstand korrespondierte.“ (Prolegomena, 41/2) Das wäre, wie Kant richtig hervorhebt, ein idealistischer Standpunkt, weil er dem erkennenden Wesen alles, was außer ihm existiert, aus sich produzieren läßt. Kant will aber nicht soweit gehen. Er will nur behaupten, daß nur die noch nicht inhaltlich bestimmten reinen Begriffe a priori aus Vorstellung produziert werden können. Deshalb deutet er auf den materialistischen Aspekt seiner Erkenntnistheorie: „Ich dagegen sage: Es sind uns Dinge als außer uns befindliche Gegenstände unserer Sinne gegeben, denen wir die Benennung eines Körpers geben“, eines „wirklichen Gegenstandes“. Er fragt dann: „Kann man dieses wohl Idealismus nennen? Es ist ja gerade das Gegenteil davon.“ (Prolegomena, 42) Kant konstruiert hier ein Subjekt-Objekt-Verhältnis und gibt eine Antwort auf die Grundfrage der Philosophie aller Zeiten, wie das Verhältnis vom Sein und Bewußtsein zu verstehen sei. Er definiert dabei das Ziel eines jeden erkenntnistheoretischen Akts als die Aneignung des Objekts durch das Subjekt, damit die „Gegenstände für uns“_[7]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn7) werden. Seine Erkenntnistheorie ist also durchaus praktisch orientiert. Diese praktische Orientierung ist aber nicht im Sinne von Marx und Engels zu verstehen, die die Arbeit als die Tätigkeit zur Aneignung der Gegenstände definieren, sondern im elitistischen Sinne, die die eigentliche ‚Dreckarbeit’ scheut. Kant gibt zwar zu, daß die Gegenstände außer uns liegen, spaltet sie aber in zwei Existenzformen: Wesen und Erscheinung und behauptet dabei, daß das Wesen der Gegenstände, also das Ding an-sich, nicht erkannt werden könne und auch „gänzlich unbekannt“ bleiben werde. (Prolegomena, 42) Deshalb „von dem was sie [Gegenstände,-DG] an sich selbst sein mögen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen, d. i. die Vorstellungen, die sie in uns wirken, indem sie unsere Sinne affizieren.“ (Prolegomena, 42) Dieser Grundsatz der Kantschen Philosophie ist der Gegenstand der Auseinandersetzung Lenins mit den Irrationalismen in der Philosophie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Hier definiert Kant die äußerste Grenze, die die bürgerliche Philosophie nicht überschreiten kann. Die bürgerliche Philosophie nach Kant hat sich nicht umsonst darauf beharrt und es als Anlaß genommen, das philosophische Ringen um die Wahrheit zunächst aufs Eis zu legen, wie Hegel darauf hingewiesen hat: „ Das bei uns am weitesten verbreitete Philosophieren tritt nicht aus den Kantschen Resultaten, daß die Vernunft keinen wahren Gehalt erkennen könne und Ansehung der absoluten Wahrheit auf das Glauben zu verweisen sei, heraus. Was aber bei Kant Resultat ist, damit wird in diesem Philosophieren unmittelbar angefangen, damit die vorhergehende Ausführung, aus welcher jenes Resultat herkommt und welche philosophisches Erkennen ist, vorweggeschnitten. Die Kantsche Philosophie dient so als ein Polster für die Trägheit des Denkens, die sich damit beruhigt, daß bereits alles bewiesen und abgetan sei.“_[8]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftn8) Spätestens in der Zeit nach 1848 ist die bürgerliche Philosophie nicht mehr am Status quo interessiert. Es geht ihr nur noch um reaktionäre Zerstörung und die Zurücknahme des Zugeständnisses Kants an den Materialismus. „Wenn Kant zugibt,“ sagt Lenin, „daß unseren Vorstellungen etwas außer uns, irgendein Ding an sich, entspreche, so ist er hierin Materialist. Wenn er dieses Ding an sich für unerkennbar, transzendent, jenseitig erklärt, tritt er als Idealist auf. (...) Wegen dieser Halbheit Kants führten sowohl die konsequenten Materialisten als auch die konsequenten Idealisten (und ebenso die reinen Agnostiker, die Humeisten) einen schonungslosen Kampf gegen ihn.“ (195) Deshalb unterscheidet er zwischen der rechten und linken Kritik an der Kantischen Philosophie. Das „Reaktionäre in der Philosophie“ Die rechte Kritik an Kant kann auf die in der gegenwärtigen Debatte um den sogenannten Postmodernismus bekannte Aussage reduziert werden, daß die Wahrheit beliebig sei, was ja darauf hindeutet, wie aktuell Lenins Auseinandersetzung mit den Epriokritikern („Machisten“) ist. Lenin faßt alle Formen der rechten Kritik an Kant unter dem Begriff das „Reaktionäre in der Philosophie“ (105) zusammen. Die reaktionäre Kritik wirft Kant vor, daß er überhaupt so etwas wie ein Ding an-sich angenommen hat, das unabhängig von uns existiert und läßt sich auf Ernst Machs folgende Behauptung reduzieren: „Die Empfindungen sind auch keine ‚Symbole der Dinge’. Vielmehr ist das ‚Ding’ ein Gedankensymbol...“ (32) Wenn man diese erkenntnistheoretische Haltung akzeptiert wird, sagt Lenin, dann muß man auch sagen können: „Also existiert die Empfindung ohne ‚ Substanz’, d. h., der Gedanke existiert ohne Gehirn!“ Die Irrationalität dieser Philosophien liegt nach Lenin vor allem in ihrer solipsistischen Haltung, die die Außenwelt auf das Produkt der Vorstellung des abstrakten Ichs reduziert. Denn die Empfindung wird „nicht für die Verbindung des Bewußtseins mit der Außenwelt, sondern für eine Scheidewand gehalten (...), für eine Mauer, die das Bewußtsein von der Außenwelt trennt“. (43) Wie soll aber jemand ohne zu fühlen und zu sehen irgendetwas erkennen. Gibt z. B. Mach nicht zu, „daß die objektive, unabhängig von uns existierende Realität den ‚sinnlichen Inhalt’ ausmacht, so bleibt ihm nur ein ‚bloßes abstraktes’ Ich, (...) ‚das taumelnde Spinett, das dachte, es sei das einzige, so auf der Welt vorhanden sei’“ (34) So folgt aber „hieraus mit Notwendigkeit, daß die ganze Welt nur meine Vorstellung ist“ – eine Prinzip, das in der Schopenhauerschen Philosophie herumspukt. (33) Aber von „dieser Annahme ausgehend, ist es unmöglich, zu der Existenz anderer Menschen außer sich selbst zu gelangen: das ist reinster Solipsismus.“ (33) Damit reduziert man aber alles, was ist, auf reine Symbole; damit verkommt die Wahrheit zur Beliebigkeit. Denn wenn man zugibt, daß alles, was ist, aus den Vorstellungen der Ichs produziert wird, akzeptiert man auch, daß es auch beliebig so viele symbolische Wahrheiten wie Ichs geben wird - eine „hirnlose Philosophie“. (40) Das Vernünftige in der Philosophie Diese von Berkeley und Hume stammende reaktionäre Haltung sieht Lenin bereits in der Kantschen Philosophie angelegt, weil sie zum einen den Raum und Zeit zur Anschauungsformen reduziert; zum zweiten die Begriffe vor jeder Erfahrung im Verstand für gegeben hält und zum dritten die Möglichkeit der Erkenntnis des Wesens verneint. Diese Annahme Lenins impliziert, daß es in der Kantschen Philosophie auch eine progressive Linie gibt. Die linke Kritik, die mit Hegel beginnt und über Ludwig Feuerbach in Marxens und Engels’ Werk mündet, ist an der Weiterentwicklung der progressiven Linie interessiert. Lenin sieht in der deutschen Philosophie vor Marx zwei Höhepunkte, hinter die die Kritik an Kant nicht zurückfallen darf, nämlich die Hegelsche Dialektik und der Feuerbachsche Materialismus. Wie Engels betont auch Lenin, daß die Frage, ob das Ding an-sich erkannt werden könne, bereits durch die Hegelsche Dialektik, eine „echte Perle“, gegeben worden ist. (241) Hegel seinerseits betont, daß der „Verdienst“ der Kantschen Philosophie „durch das, was an ihr ausgesetzt werden möge, ihr ungeschmälert bleibt“. (WdL I, 59fn) Worin besteht nun der Verdienst Kants? Hegel hebt hervor: „Kant hat die Dialektik höher gestellt (...), indem er ihr den Schein von Willkür nahm (...) und sie als ein notwendiges Tun der Vernunft darstellte.“ (WdL I, 52) Kants Antinomien der reinen Vernunft mögen wenig lob verdienen, „aber die allgemeine Idee, die er zugrunde gelegt und geltend gemacht hat, ist die Objektivität des Scheins und Notwendigkeit des Widerspruchs, der zur Natur der Denkbestimmungen gehört“. (WdL I, 52) Hegels Kritik an Kant will genau das Gegenteil von dem Tun, was später der Neokantianismus bzw. Neopositivismus getan hat, nämlich im Rahmen seiner Dialektik die Objektivität und Erkennbarkeit des Wesen beweisen, das Kant gerade deshalb nicht leisten konnte, weil er die Dialektik auf eine „Logik des Scheins“ reduziert hatte. (KdrV, 170) Nach Hegel liegt Kants wesentlicher Fehler darin, daß er die Gegenstände nicht im Verhältnis zueinander sieht. Deshalb erscheinen ihm auch die Eigenschaften der Gegenstände nicht als verschiedene Ausdrucksformen desselben Wesens. „ Das Ding an-sich, als das einfache Reflektiertsein der Existenz in sich, ist nicht der Grund des unwesentlichen Daseins; es ist die unbewegte, unbestimmte Einheit, weil es eben die Bestimmung hat, die aufgehobene Vermittlung zu sein, und nur die Grundlage desselben.“ (WdL II, 130) Die Eigenschaften des Zuckers mögen z. B. dem Pfeffer unwesentlich erscheinen, weil er andere Eigenschaften hat. Wenn man aber die Eigenschaften des Zuckers an sich betrachtet, dann kann man nicht mehr behaupten, daß seine Eigenschaft, süß zu sein, nicht dem Wesen des Zuckers gehört: „Das Ding an-sich hat Farbe erst an das Auge gebracht, Geschmack an die Nase usf.“ (Ebd) Im Rahmen der Hegelschen Dialektik wird das Kantsche Ding an-sich zur erkennbaren absoluten Idee. Hegel faßt, sagt Lenin, in diesem Konzept alle Widersprüche der Kantschen und Fichteschen Philosophie so zusammen, daß er sie auf die Spitze treibt. Von da aus ist dann nur noch ein Schritt zu tun, um zu einer materialistischen Philosophie zu gelangen. (230) Dieser kritische Gang muß aber den „genial-wahren Kern“ der Hegelschen Dialektik aufheben. (313) Seine Kritik an Hegel will Lenin nicht so verstanden haben, daß sie Marx von seinen Quellen abschneidet, was von Marxens Gegnern immer wieder versucht wird, um ihn indirekt anzugreifen, sondern in dem Sinne, daß die Dialektik im Marxismus aufgehoben wird. Denn nur im Rahmen einer dialektischen Philosophie kann das Wahre und Falsche, die absolute und relative Wahrheit, die Notwendigkeit und Freiheit usw. in ein vernünftiges Verhältnis zueinander gebracht werden. Nur so kann es den Anspruch Hegels, das Ganze sei das Wahre, einlösen und die Dialektik als Wissenschaft der allgemeinen Gesetze sowohl der äußeren Welt als auch des Denkens etablieren. Es muß dabei gezeigt werden, daß das Wissen zum einen von der Sinnlichkeit zum Denken als Widerspiegelung der äußeren Welt aufsteigt und zum anderen sich historisch vom Nichtwissen zum Wissen bzw. absoluten Wissen entwickelt, indem der Mensch immer mehr in die verborgenen Bereiche der Natur vordringt: „Das menschliche Denken ist also seiner Natur nach fähig, uns die absolute Wahrheit, die sich aus der Summe der relativen Wahrheiten zusammensetzt, zu vermitteln, und es tut dies auch. Jede Stufe in der Entwicklung der Wissenschaft fügt dieser Summe der absoluten Wahrheit neue Körnchen hinzu; aber die Grenzen der Wahrheit jedes wissenschaftlichen Satzes sind relativ und können durch die weitere Entwicklung des Wissens entweder weiter oder enger gezogen werden.“ (129) Praxis als Kriterium der Wahrheit Im Anschluß an Marx und Engels definiert Lenin die Praxis als das Kriterium der Wahrheit. „Der Gesichtspunkt des Lebens, der Praxis muß der erste und grundlegende Gesichtspunkt der Erkenntnistheorie sein. (...) Freilich darf dabei nicht vergessen werden, daß das Kriterium der Praxis schon dem Wesen der Sache nach niemals irgendeine menschliche vollständig bestätigen oder widerlegen kann“, was uns dabei hindert in irgendein Dogma des ewigen „Absolutum“ zu verfallen. (137) „Vom Standpunkt des modernen Materialismus, d. h. des Marxismus, sind die Grenzen der Annäherung unserer Kenntnisse an die objektive, absolute Wahrheit geschichtlich bedingt, unbedingt aber ist die Existenz dieser Wahrheit selbst, unbedingt ist, daß wir uns ihr nähern.“ (130) Obwohl Lenin einräumt, daß die absolute Wahrheit nie vollständig erreicht werden kann, besteht er darauf, daß ihre Möglichkeit immer angenommen werden muß. Man kann hierfür viele erkenntnistheoretische Argumente aufführen. Ich möchte, um auf das Zitat von Gramsci, der Lenin als die Quelle seiner Theorie der Hegemonie ausweist, zurück zu kommen, einen politischen Grund nennen, der zeigt wie Lenin die Dialektik auf Politik anwendet. Gramsci sagt, daß Lenins „ Theorisierung und Verwirklichung der Hegemonie auch [als] ein großes ‚ metaphysisches’ Ereignis“ gesehen werden kann. Hier deutet Gramsci wie eng Lenins politische Theorie und Praxis mit seiner Erkenntnistheorie in zusammen hangt. Lenin hat immer wieder betont, daß die absolute Wahrheit nie zu erschließen ist, aber die Annahme ihrer Möglichkeit uns vor großen Fehler schützen kann. Wie hängt das mit Politik zusammen? Lenin hat unzählige Male Hegels Dialektik als „revolutionär“ bezeichnet. Warum? Darüber möchte ich Lenin selbst zu Wort kommen lassen, der zeigt, wie die Dialektik von Teil und Ganze, von Qualität und Quantität in politische Aktion umgesetzt werden kann: „Der dialektische Prozeß der Entwicklung bringt wirklich schon im Schoße des Kapitalismus Elemente der neuen Gesellschaft hervor, sowohl materielle als auch geistige Elemente. Doch die Sozialisten müssen es verstehen, die Stückchen vom Ganzen zu unterscheiden, müssen das Ganze und nicht die Stückchen als Losung aufstellen.“ (9, 370) Sie dürfen nicht übersehen, „daß all diese Stückchen der Umwälzung, wenn der Aufstand siegt, unweigerlich zu einem einheitlichen, in sich geschlossenen ‚Epilog’ des Aufstands verschmelzen werden, während die Stückchen, wenn der Aufstand nicht siegt, eben Stückchen bleiben, klägliche Stückchen, die nichts ändern und nur Philister zufriedenstellen“ (9, 371) ____________________________________ _[1]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref1) Georg Luckács, Lenin, Luchterhand 1969, S. 7. _[2]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref2) Hans Heinz Holz, Leo Kofler, Wolfgang Abendroth, Gespräche mit Georg Luckács, hrsg. Theo Pinkuns, Rowohlt, 1967, S. 71. _[3]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref3) Antonio Gramsci, Gefängnishefte (Argument-Verlag, Hamburg 1992), Bd. 4, S. 892. _[4]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref4) F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie (Dietz Verlag, Berlin 1984), in Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 21, S. 307; vgl. auch F. Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft (Dietz Verlag, Berlin 1987), in MEW, Bd. 19, S. 188. _[5]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref5) W. I. Lenin, Was sind die „ Volksfreunde“ und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokratie, in Lenin-Werke (Dietz Verlag, Berlin 1961), Bd. 1, S. 134, (im Folgenden im Text 1, 134 usw.). _[6]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref6) I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (hrsg. K. Vorländer), S. 41, Hamburg: Felix Meiner Verlag 1993 (im Folgenden: Prolegomena, 41 usw.). _[7]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref7) I. Kant Kritik der reinen Vernunft (hersg. J. Timmermann), S. 170, Hamburg: Felix Meiner Verlag 1998 (im Folgenden: KdrV, 170 usw.). _[8]_ (aoldb://mail/write/template.htm#_ftnref8) G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik (Hrsg. E. Moldenhauer und K. M. Michel), Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993, Bd. 1, S. 59fn (im Folgenden im Text: WdL I, 59fn usw.).
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