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taz - 20.02.2009
meinung und diskussion
Die Abwärtsspirale
Das aktuelle Desaster zeigt: Betten wir den Markt nicht wieder in
soziale und ökologische Zusammenhänge ein, dann ist der nächste
Wirtschaftscrash vorprogrammiert
CHRISTA WICHTERICH
Feministische Stimmen sind merkwürdig verhalten in den Debatten über
Kapitalismus und Krise. Dabei ist es hochnotwendig, Kapitalismuskritik
und das Nachdenken über Wege aus der Krise aus der Perspektive
feministischer Ökonomie zu verknüpfen.
Denn diese Debatten trennen nicht nur künstlich den Finanzmarkt von
der Realwirtschaft. Sie wiederholen auch die von unserer
kapitalistisch ausgerichteten Gesellschaft vollzogene Abspaltung der
Marktökonomie von der sozialen und natürlichen Reproduktion. So
beklagen sie zwar das durch Deregulierung aus der Kontrolle geratene
Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit. Doch die grundlegende
Hierarchie zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter, überwiegend von
Frauen geleisteter Sorgearbeit bleibt ausgeblendet. Finanzmarkt und
Realwirtschaft gelten weiterhin als wertschöpfend, Kinderbetreuung
oder der Wasserkreislauf der Natur hingegen nicht.
Zwar ist der Industrie- und Finanzkapitalismus aus den sozialen und
ökologischen Zusammenhängen "entbettet", wie Karl Polanyi sagt.
Gleichzeitig aber kann Wertschöpfung nur auf Grundlage eines Polsters
von sozialer Regeneration, von Sorgearbeit und sozialer
Sicherungsnetze einerseits und der regenerativen Kräfte der Natur
andererseits funktionieren. Diese sozialen und natürlichen Leistungen
eignet sich der kapitalistische Verwertungsprozess ständig an. Und
bezahlt sie schlecht oder gar nicht - siehe die Altenpflege.
Mehr noch: Die Logik von Wachstum und Profit - das eherne Gesetz
kapitalistischer Märkte - funktioniert nur aufgrund eines doppelten
Mechanismus: Zum einen werden neue Märkte und Ressourcen erschlossen
(etwa Finanzmärkte, Schwellenländer) und neue Methoden des
Profitmachens erfunden (etwa Manipulation und Patentierung genetischer
Ressourcen). Die andere Seite der Medaille ist Kostensenkung und dazu
gehört, dass soziale und ökologische Kosten immer weiter aus den
Märkten ausgeschlossen und den Individuen und sozialen Zusammenhänge
aufgebürdet werden. Je neoliberaler die Politik ausfällt, desto
weniger werden diese Prozesse reguliert.
Zur Analyse der aktuellen Situation lohnt es, zurück auf die
Asienkrise von 1997/98 zu blicken. Wie Ökonominnen zeigen konnten,
beruhte eine der Wachstumsstrategien im Globalisierungsboom darauf,
Frauen und MigrantInnen zu integrieren, meist am unteren Ende der
transnationalen Wertschöpfungsketten. In den Tigerstaaten waren die
jungen Frauen in den Weltmarktfabriken ein Vorteil, der ausländische
Investoren und Aufträge für billige Massenware anzog. Gleichzeitig kam
es infolge der Migration in die Metropolen zu einer transnationalen
Neuverteilung von Sorgearbeit: Mittelständische Frauen überließen das
Putzen und das Windeln Migrantinnen, die mit ihren
Devisenüberweisungen den Staatshaushalt und die privaten
Haushaltskassen daheim auffüllten.
In der Asienkrise fand dann nichts weniger als ein "Download" der
Risiken in die Küchen statt, wie die Ökonomin Diane Elson es
formulierte. Während Rettungspakete kranke Banken und Konzerne
reanimierten, wurden schon damals die Kosten des Crashs durch
Währungsverfall, Entlassungen und Lohnsenkung in die Privathaushalte
verschoben. Unbezahlte Mehrarbeit im Haushalt und in den lokalen
Gemeinschaften, zwei bis drei Minijobs oder aber die Migration - das
waren die individuellen Abfederungsstrategien der Prekarisierten,
Ausgegrenzten, Subalternen, vor allem der Frauen, um die Löcher im
Portemonnaie zu kompensieren. Allein in Indonesien verarmten rund 40
Millionen Menschen. Soziale Spaltungen der Gesellschaften nahmen
massiv zu, Abholzung und Ressourcenraubbau ebenfalls.
Der Politik waren die sozialen Airbag-Leistungen der Frauen
hochwillkommen. Die südkoreanische Regierung rief die Frauen explizit
zur sozialen Reproduktion auf: Sie mögen bitte die entlassenen Männer
"reenergetisieren", um so die Konjunktur wieder anzukurbeln. Und ein
Freihandelsabkommen zwischen Japan und den Philippinen öffnete den
Markt für "Unterhaltungskünstlerinnen" - sprich für den Nachschub für
die Prostitution.
Als Reaktion auf die Krise formierten sich von der südkoreanischen
"Gewerkschaft" erwerbsloser Frauen bis zum Volksparlament der Armen in
Thailand heftige Proteste gegen die Liberalisierung der Märkte, die
agrarische Exportpolitik, den ressourcenfressenden Wachstumskurs. Sie
forderten eine Demokratisierung von Wirtschaft, Arbeitsteilung und
Wohlstandsverteilung.
Derweil verkündeten Regierungen und internationale Finanzinstitutionen
damals, ihre Lektionen gelernt zu haben: Es müsse Transparenz der
Finanzmärkte hergestellt, eine neue internationale Finanzarchitektur
und soziale Auffangnetze geschaffen werden. Nur wenig davon geschah.
Heute trifft die Wirtschaftskrise dieselben Länder erneut wie ein
Nackenschlag. Doch die EU-Kommission treibt die Spirale von
Liberalisierung und Deregulierung weiter und preist den Asean-Ländern
und Indien neue Freihandelsabkommen als besten Weg aus der Krise an.
Das Ziel ist klar: EU-Konzernen, allen voran Finanzdienstleistern und
Großhändlern wie der Metro sollen neue Märkte und Verwertungschancen
eröffnet werden.
Ob in den USA oder in Deutschland, der Staat agiert derzeit jeweils
zuallererst als Rettungsstaat, um die Funktions- und
Konkurrenzfähigkeit der nationalen Ökonomien zu erhalten. Er
verschenkt Milliarden an die Brandstifter, Zockerbanken und
Überproduktionsindustrien, nachdem er jahrelang mit dem Sparargument
die Daseinsvorsorge gekürzt und mit seiner Fiskal- und
Deregulierungspolitik gesellschaftlichen Reichtum zugunsten des
Kapitals umverteilt hat. Jetzt verteilt er Verluste und Risiken von
oben nach unten. Die Schulden, die er jetzt macht, müssen von den
SteuerzahlerInnen beglichen werden. Ein weiterer Sozialabbau ist damit
vorprogrammiert. Gerettet werden diejenigen, die für die Krise
verantwortlich sind. Dabei ist es absehbar, dass die Banken und die
Autoindustrie, wenn sie so weiterwirtschaften wie bisher, nicht zu
retten sind.
Dabei verpflichtet der Staat sich erneut der kapitalistischen Logik
von Wachstum. Die geht davon aus, dass allein Finanzmarkt und
Realwirtschaft Wert schaffen können. Konjunktur- und Kaufkraftspritzen
sollen Wachstum und Konsum ankurbeln und Jobs sichern. Das mag
kurzfristig lindern, zementiert aber langfristig den Widersinn, dass
ständige Produktivitäts- und Wachstumssteigerung immer neue Krisen
auslösen und soziale Probleme wie auch Umweltzerstörung verschärfen.
Da der Kapitalismus nicht nur eine Produktionsweise, sondern ein
gesellschaftliches Verhältnis und eine Hegemonie in den Köpfen ist,
muss, wenn mit seiner Funktionslogik gebrochen werden soll, auch der
Kapitalismus im Bewusstsein geknackt werden. Es gilt die Verknüpfung
Wachstum - Job - Konsum und die Trennung von Produktion und
Reproduktion zu überwinden. Umverteilung und Umbewertung von
Produktions- wie Reproduktionsarbeit sind eine tragende Säule für
demokratische und solidarischere Wirtschaftsregeln, die der Versorgung
und Reproduktion von Gesellschaft und Natur den Vorrang vor
Wirtschaftswachstum und Profitmaximierung geben.
CHRISTA WICHTERICH
Christa Wichterich ist Soziologin, Publizistin und Mitglied von "Wide"
(Women in Development Europe). Sie gehört dem wissenschaftlichen
Beirat von Attac an. Ihre Schwerpunkte: Globalisierung, Ökologie und
internationale Frauenpolitik.
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Received on Tue Feb 24 07:38:54 2009
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