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From: Antonio Pagliarone
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Friday, May 01, 2009 3:23 PM
Subject: Robert Kurz
Robert Kurz
INTERVIEW MIT DER PORTUGIESISCHEN INTERNET-ZEITSCHRIFT
"ZION EDIÇÕES"
How does the present
financial crisis fit in the context of the development of the structural
crisis of the capital?
Es ist theoretisch falsch, von einer
selbständigen Finanzkrise zu sprechen, deren
"Rückwirkung" auf die sogenannte Realökonomie
unbestimmt sei und möglicherweise glimpflich ausfallen werde. In
Begriffen der Marxschen Theorie ausgedrückt, kann die Finanzkrise nur
eine Erscheinungsform mangelnder realer Verwertungsbedingungen des
Kapitals sein. Das Finanz- und Kreditsystem ist kein selbständiger
Sektor, sondern integraler Bestandteil in der erweiterten Reproduktion des
Gesamtkapitals. Dabei entsteht ein Widerspruch, der sich mit
fortschreitender Entwicklung verschärft. Die Expansion des
Kreditsystems ist an sich nichts Neues, sondern hat bereits einen
säkularen Prozess durchlaufen. Darin reflektiert sich ein
Mechanismus, der von Marx als "steigende organische Zusammensetzung
des Kapitals" beschrieben wird. Mit zunehmender
Verwissenschaftlichung der Produktion wächst der Anteil des
konstanten Kapitals (Maschinerie, technologische Aggregate der Steuerung,
Kommunikation und Infrastruktur etc.) überproportional an im
Verhältnis zum variablen Kapital (wertproduktive Arbeitskraft).
Dementsprechend steigen die Vorauskosten, um überhaupt Arbeitskraft
als einzige Quelle von Mehrwert rentabel anwenden zu können. Die
steigenden Vorauskosten erzwingen einen immer weiter in die Zukunft
verschobenen Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert in Form des Kredits,
um die aktuelle Mehrwertproduktion am Laufen zu halten.
Damit
entsteht eine wachsende Spannung im inneren Zusammenhang von Kredit und
realer Verwertung. In der Vergangenheit konnte dieser Widerspruch
kompensiert werden durch einen gesellschaftlichen Nebeneffekt der
Verwissenschaftlichung. Der Anstieg der Produktivität verbilligt die
Lebensmittel und vermindert damit auch den Wert der Arbeitskraft, sodass
die Kosten für deren Reproduktion sinken. Derselbe Mechanismus, der
den Anteil des variablen Kapitals (Arbeitskraft) in der organischen
Zusammensetzung des Kapitals relativ vermindert, führt also
andererseits dazu, dass die Arbeitskraft weniger Wert für ihren
eigenen Erhalt produzieren muss. Der Anteil des Mehrwerts am gesamten neu
geschaffenen realen Wert steigt, was Marx als Produktion des
"relativen Mehrwerts" bezeichnet. Das gilt aber nur pro
einzelner kapitalistisch produktiver Arbeitskraft. Voraussetzung für
einen kompensatorischen Effekt hinsichtlich der gesellschaftlichen
Verwertung ist es daher, dass das reale Gesamtkapital gleichzeitig
expandiert und damit die Zahl der kapitalistisch produktiv anwendbaren
Arbeitskräfte absolut steigt - trotz des geringeren relativen Anteils
des variablen Kapitals in der organischen Zusammensetzung eines bestimmten
vorgeschossenen Geldkapitals. Nur unter dieser Bedingung kann auch die
immer weiter in die Zukunft ausgreifende Vorwegnahme zukünftigen
Mehrwerts mittels des expandierenden Kredits zumindest soweit wieder
eingelöst werden, dass der Zusammenhang zwischen Kredit und realer
Verwertung nicht völlig zerrissen wird. Solange dieser Zusammenhang
einigermaßen funktioniert, drückt sich auch der Widerspruch nur
relativ aus, nämlich als der berühmte tendenzielle Fall der
gesellschaftlichen Profitrate. Die Rate des Durchschnittsprofits bezieht
sich auf ein Geldkapital beliebiger Größenordnung. Diese Rate
fällt im säkularen Prozess aufgrund des steigenden Anteils an
Vorauskosten des konstanten Kapitals, das keinen Neuwert produziert,
sondern nur bereits geschaffenen Wert überträgt. Wenn aber die
gesellschaftliche Gesamtmasse des vorgeschossenen Geldkapitals in der
wertproduktiven Anwendung ausreichend anwächst, kann trotz fallender
Profitrate pro eingesetztem Geldkapital gleichzeitig die absolute reale
Mehrwertmasse und damit Profitmasse des Gesamtkapitals weiter steigen.
Marx hat diesen Zusammenhang im 1. Band (Produktion des relativen
Mehrwerts) und im 3. Band (tendenzieller Fall der Profitrate) des
"Kapital" analysiert, wobei der historische Ausgang offen
bleibt. Auf der elementaren Ebene der "Wertsubstanz" als
"Arbeitssubstanz" spricht Marx dagegen in den
"Grundrissen" davon, dass das von der Konkurrenz erzwungene
permanente Ansteigen der Produktivität schließlich zur
absoluten Verminderung der wertproduktiven Arbeitskraft und damit zu einer
absoluten historischen Schranke der Verwertung führen muss. Dieser
Aspekt ist bei Marx allerdings theoretisch unausgeführt geblieben.
Die fordistische Phase war die Hochzeit des relativen
Mehrwerts bei gleichzeitiger Expansion des realen Gesamtkapitals. Das
permanente Vorauseilen des Kredits schien bewältigbar. Auch in der
Linken galt die Theorie einer absoluten inneren Schranke der Verwertung
als erledigt. Der Widerspruch zwischen Kreditsystem und realer
Mehrwertproduktion durchläuft aber im Kontext der mikroelektronischen
3. industriellen Revolution einen Kulminationspunkt und erreicht eine neue
Qualität. Die Expansion des realen Gesamtkapitals hat ihre
historische Grenze erreicht, während gleichzeitig durch die neue
Qualität der Verwissenschaftlichung die wertproduktive
"Arbeitssubstanz" in einem nie dagewesenen Ausmaß
abgeschmolzen wird. Die Steigerung des relativen Mehrwerts pro einzelner
Arbeitskraft verliert ihren Charakter eines historischen
Kompensationsmechanismus. Damit verwandelt sich der bloß relative
tendenzielle Fall der Profitrate pro eingesetztem Geldkapital in einen
absoluten Fall der realen gesellschaftlichen Mehrwertmasse und damit der
Profitmasse. Der Zusammenhang zwischen dem weit vorausgeeilten Vorgriff
auf zukünftigen Mehrwert in Form des Kredits und der realen
Mehrwertproduktion wird unwiderruflich zerrissen. Was als verheerende
Finanzkrise erscheint, ist nur die empirische Manifestation des reif
gewordenen Widerspruchs auf der empirisch nicht fassbaren Ebene der realen
Wertverhältnisse.
Wir haben es also mit einem
"Strukturbruch" höherer Ordnung zu tun. Wenn bisher von
einer "strukturellen Krise" des Kapitals die Rede war, etwa im
Kontext der "Theorie der langen Wellen", so immer nur im
Hinblick auf den "Übergang" zu einem neuen "Modell der
Akkumulation". Die Krise sollte lediglich die Funktion einer
"Bereinigung" haben, um den Weg für den nächsten
historischen Schub der Verwertung auf neuer technologischer Basis frei zu
machen. Dafür wurde der berühmte Begriff des Ökonomen
Joseph Schumpeter von der Potenz des Kapitals zur
"schöpferischen Zerstörung" in Anspruch genommen. Aber
das Ende der fordistischen Ära brachte keinen
"schöpferischen" Strukturbruch im Sinne eines neuen
"Akkumulationsmodells" hervor. Der viel beschworene
Übergang zum sogenannten "Postfordismus" war eine
bloße Leerformel. Was dafür ausgegeben wurde, war nichts als
der Übergang zu einer historisch kurzen Ära der
berüchtigten "Finanzblasen-Ökonomie", in der das
Kreditsystem weit über das Fassungsvermögen der schrumpfenden
realen Mehrwertproduktion hinaus auf historisch beispiellose Weise
aufgeblasen wurde.
Dabei entstand für eine
positivistische Wahrnehmung, die den inneren Zusammenhang der
Wertverhältnisse nicht erkennt, die optische Täuschung eines
tatsächlichen neuen "Akkumulationsmodells". Zum einen
sollte der "Postfordismus" darin bestehen, dass sich die
industrielle Mehrwertproduktion in die Peripherie der sogenannten
Schwellenländer verlagert (zuletzt in Gestalt der asiatischen
angeblichen "Wachstumswunder"). In Wirklichkeit bestanden der
Ausgangspunkt und die Triebkraft dieser Verlagerung nicht in Geldeinkommen
aus realer Wertschöpfung, sondern im "fiktiven Kapital"
substanzloser Finanzblasen, die von der produktiven Anwendung menschlicher
Arbeitskraft längst entkoppelt waren. Auf diese Weise wurde eine
globale Defizitkonjunktur in Gang gebracht, die jetzt vor dem Absturz
steht. Zum andern sollte der "Postfordismus" in den
kapitalistischen Zentren eine sogenannte
"Dienstleistungsgesellschaft" kreieren, die als
eigenständiges neues Feld der Verwertung imaginiert wurde. In
Wirklichkeit handelte es sich großenteils um kapitalistisch
unproduktive Sektoren, etwa von privaten
"Humandienstleistungen", die ebenfalls ihren Ausgangspunkt und
ihre Nahrung nicht in realer Wertschöpfung und daraus abgeleiteten
Einkommen hatten, sondern in der Aufblähung des "fiktiven
Kapitals" und der bloßen Simulation von Verwertungsprozessen.
Deshalb fand der vermeintliche Übergang zur
"Dienstleistungsökonomie" auch nicht als Expansion
staatlicher Infrastrukturen etwa im Gesundheits- und Bildungswesen statt,
die schon in den 70er Jahren gescheitert war, sondern in Form einer
Prekarisierung der Dienstleistungsarbeit in privaten Klitschen des
Billiglohns und in Formen der "Scheinselbständigkeit", die
jetzt ebenfalls abrasiert zu werden drohen.
Dazu ist noch eine
Bemerkung hinsichtlich der theoretischen Entwicklung in der Linken
nötig. Die postmoderne Ideologie der "Virtualisierung"
führte auch zu einer Anpassung der linken Gesellschaftskritik an den
simulativen Krisenkapitalismus. Man begann umstandslos von einem nun eben
"finanzgetriebenen" Wachstum zu sprechen, in dem man sich
"symbolisch" einrichten wollte. Die Grundkategorien der
Marxschen Kritik der politischen Ökonomie wurden nicht nur wie im
traditionellen Marxismus positivistisch missverstanden, sondern
überhaupt ausgeblendet. Und das Problem der Krisenpotenz wurde nicht
nur auf die "Funktion" der "Bereinigung" reduziert,
sondern auch subjektivistisch umgedeutet und in bloße
"politische Willensverhältnisse" aufgelöst.
Paradigmatisch dafür steht der Postoperaismus eines Antonio Negri.
Soweit es überhaupt "Krisen" gibt, werden sie nur als eine
bewusste, "politisch gewollte" Reaktion der Kapitalisten und
ihrer Fraktionen auf die glorreichen "Kämpfe" der
sogenannten Multitude verstanden. Wenn aber die aktuelle Dynamik des
globalen Einbruchs ein willentlicher politischer Akt des kapitalistischen
"Empire" sein soll, dann eher noch als "Reaktion" auf
den Geist meiner Großmutter als auf die längst nur noch
symbolischen "Kämpfe" eines demoralisierten variablen
Kapitals ohne reale Eingriffsmacht in den kapitalistischen Zentren. Wie in
der Marxschen Theorie unübertroffen dargestellt, ist aber die reale
Schranke der Verwertung strikt objektiv und hat sich "hinter dem
Rücken" der Akteure aufgerichtet. Die soziale Emanzipation von
der kapitalistischen Logik dagegen kann ganz und gar nicht
"objektiv" sein; aber eben deswegen erfordert sie die radikale
Kritik der kapitalistischen Grundkategorien, die von der Menschheit
"verinnerlicht" und von der Linken weitgehend verdrängt
worden sind. Wenn die Linke jetzt die negative Objektivität der Krise
verarbeiten muss, wird sie dabei auch mit sich selbst und ihren
postmodernistischen Illusionen konfrontiert.
In your opinion,
is this a good moment to generalize a radical critique of the capital
system? Or considering that the basic material conditions of millions of
human beings are increasingly degraded isn't it possible to go beyond the
Keynesianism and the State-providence nostalgia?
Oberflächlich betrachtet macht sich eine allgemeine Delegitimierung
des Kapitalismus bis in die politische Klasse und ins Feuilleton hinein
geltend. Der Begriff des Kapitalismus schlechthin wird über Nacht
pejorativ besetzt, als hätte man ihn nicht die ganze Zeit als
"Sieger der Geschichte" ausgerufen. Aber diese "Wende"
muss in ihrer unvermittelten Plötzlichkeit als unglaubwürdig und
verdächtig erscheinen. Der Neoliberalismus ist in den letzten
Jahrzehnten als "marktradikale" Grundtendenz, als abstrakte
Individualisierung und Entsolidarisierung von autistischen
"Gesellschaftsatomen" tief ins Massenbewusstsein eingesunken.
Der unmittelbare individuelle Bezug auf den universellen Markt und die
universelle Konkurrenz sind zur Existenzbedingung geworden und nicht mehr
sozial gefiltert. Diese Formen des Daseins in einer desintegrierten
Gesellschaft werden jetzt mit voller Wucht von der neuen Qualität des
globalen Krisenschubs getroffen und in ihren Grundfesten erschüttert.
Es handelt sich zunächst um eine Erschütterung der
legitimatorischen Funktion. Der "herrschende Geist" der
neoliberalen Wende ist auf blamable Weise völlig unglaubwürdig
geworden. Bis jetzt wird aber der verheerende Einbruch auf geradezu
gespenstische Weise nur als Spektakel auf den globalen Finanzmärkten
und in den Medien wahrgenommen. Eine Katastrophenmeldung jagt die
nächste, während die Krise in der "realen"
Reproduktion und im Alltag noch nicht angekommen ist. Erste Vorboten sind
die dramatischen Absatzverluste in der Autoindustrie und ihren
Zulieferbetrieben. Die Dynamik der Krise wird aber sukzessive nicht nur
alle Sektoren der Warenproduktion (Industrie, Medien und
Dienstleistungen), sondern überhaupt alle Lebensbereiche erfassen,
die über Jahrzehnte hinweg von der Aufblähung des Kredits
abhängig geworden sind, weil sie nicht mehr aus realer
Mehrwertproduktion und deren gesellschaftlicher Umverteilung gespeist
werden konnten; vom Bildungs-, Kultur- und Gesundheitswesen über die
kommunalen Infrastrukturen bis zur Altersvorsorge usw. Die Programme
für kostenträchtige Maßnahmen zum Klimaschutz oder zur
Krankenversicherung, die weiter diskutiert werden, als wäre nichts
gewesen, sind eigentlich nur noch Makulatur.
Diese Dynamik
einer "Desintegration der Desintegration" kann von den
atomisierten gesellschaftlichen Individuen gar nicht adäquat
verarbeitet werden; jedenfalls nicht in dem Tempo, mit dem sie sich Bahn
bricht. Die individualisierten Menschen sind in jeder Hinsicht
"Kreditwesen", egal in welchem Ausmaß ihnen das bewusst
ist. Das gilt natürlich auch für die "Alltagsreligion"
(Marx) des Warenkonsums; das Kreditkartensystem wird wahrscheinlich als
nächster Finanzsektor zusammenbrechen. Der ganze seichte Diskurs
über "spekulative Exzesse", die endlich unterbunden werden
müssten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Abhängigkeit vom "Weltkartenhaus" des
verselbständigten Finanzüberbaus als Existenzbedingung auch im
Massenbewusstsein verankert ist. Deshalb läuft die
oberflächliche Delegitimierung des "Kapitalismus" auch
nicht auf eine radikale Kritik der herrschenden Produktions- und
Lebensweise hinaus. Als "kapitalistisch" werden nur die Formen
des privaten Finanzkapitals, des Investment-Bankings, der Hedge-Fonds usw.
empfunden. In demselben Maße, wie diese soeben noch angebetete
Finanzblasen-Ökonomie zusammenbricht, rufen die individualisierten
"Kreditmenschen" den Staat an, um ihre "Kredithaut" zu
retten und in ihrem prekär gewordenen kapitalistischen Dasein
weiterleben zu können. An die Stelle des erschöpften privaten
Kreditsystems soll der Staatskredit treten, den man sich als
unerschöpflich vorstellen möchte.
Natürlich ist
das eine halsbrecherische Volte. Denn diese Hoffnung auf eine unbegrenzte
Finanzierungsfähigkeit des Staates war ja genau das, was der
herrschende neoliberale Diskurs in den vergangenen Jahrzehnten als die
größte Verirrung angeprangert hatte. Dafür gab es nicht
nur ideologische Gründe. Als sich in den 70er Jahren das fordistische
Wachstum erschöpft hatte und der Zusammenhang zwischen dem
vorausgeeilten Kreditsystem und der realen Mehrwertproduktion zu
zerreißen begann, war es damals zunächst der Staatskredit, der
über das Fassungsvermögen der gesellschaftlichen
Wertschöpfung hinausgetrieben wurde, um die Konjunktur durch Vorgriff
auf die Zukunft am Laufen zu halten. Die nicht mehr einlösbare
keynesianische Staatsverschuldung bildete bereits eine Finanzblase eigener
Art. Als Folge geriet die Inflation weltweit mehr und mehr außer
Kontrolle. Der Neoliberalismus reagierte auf diese Entwicklung, begriff
aber deren tiefere Ursache überhaupt nicht. Er bildete sich ein, das
Problem bestehe bloß in einer zu starken Expansion der
Staatstätigkeit und könne durch marktradikale Deregulierung
behoben werden. Da aber in Wirklichkeit die steigende organische
Zusammensetzung des Kapitals in einen historischen Fall der realen
Mehrwert- bzw. Profitmasse umzuschlagen begann, wurde durch die
neoliberale Wende die nicht mehr einlösbare Aufblähung des
Kredits nur vom Staat auf die Finanzblasen der privatkapitalistischen
Verschuldung und Spekulation verlagert. Indem diese Verlagerung nicht mehr
auf eng begrenzter staatlicher Ebene stattfand, sondern im Kontext der
transnationalen Globalisierung, konnte mit dieser neuen Art des nicht von
realer Wertschöpfung gedeckten Kredits über 30 Jahre hinweg eine
Wachstum simuliert werden, dessen defizitärer Charakter sich erst
jetzt enthüllt. Wenn die Eliten ebenso wie das Massenbewusstsein
plötzlich wieder auf die Staatsfinanzen als Rettungsanker
zurückgreifen wollen, scheinen sie an Amnesie zu leiden. Der soeben
noch verteufelte Staat wird wider besseren Wissens abermals zum Gott
erhoben, der den Zufluss von Kredit verewigen soll, weil er jenseits der
Einzelinteressen "allmächtig" sei.
Nun ist der
Staat zwar tatsächlich nicht die separate Agentur einer
"herrschenden Klasse" oder bestimmter ökonomischer
Fraktionen, sondern die allgemeine, sozial übergreifende Instanz der
Macht, die den äußeren Rahmen der Kapitalverwertung und aller
ihrer "Charaktermasken" (Marx) bildet. Aber gerade deswegen
steht der Staat nicht "über" den objektiven
Bewegungsgesetzen des Kapitals und kann sie nicht nach Belieben steuern
oder modifizieren, sondern er ist ihnen nicht weniger unterworfen als das
einzelne Kapital; nur eben auf einer höheren gesellschaftlichen
Ebene. Alles, was der Staat tut, muss genauso finanziert werden wie alles,
was das einzelne Kapital tut oder was die Individuen tun; und die Quelle
dieser Finanzierung kann nur die reale Mehrwertproduktion sein. Der Staat
schöpft die Geldeinkommen aus dieser ursprünglichen Quelle
entweder direkt durch Steuern ab, oder er beschafft sich Geld auf den
Finanzmärkten durch Anleihen. Im zweiten Fall ist er selber ein
Akteur auf der Ebene des Finanzkapitals und an dessen Bedingungen
gebunden. Was bedeutet das in der historischen Krise des Kredits und des
davon abhängigen "finanzgetriebenen" Wachstums, wie wir sie
heute erleben? Schon die bis jetzt weltweit geschnürten staatlichen
"Rettungspakete" für das Finanzsystem und die in Aussicht
gestellten, noch gar nicht konkretisierten staatlichen Konjunkturprogramme
belaufen sich auf mehrere Billionen Euro. Woraus soll der Staat all das
finanzieren, wenn die Krise gerade darin besteht, dass die Quelle der
realen Wertschöpfung versiegt und der Kredit als Vorgriff auf
zukünftigen Mehrwert sich erschöpft hat? Eine drastische
Erhöhung der Steuern würde die ohnehin schrumpfende reale
Mehrwertproduktion noch mehr abwürgen. Eine große Masse
zusätzlicher staatlicher Anleihen auf den Finanzmärkten
hätte denselben Effekt; denn der Staat würde dann mit den
Unternehmen und Privathaushalten um den noch verfügbaren Kredit
konkurrieren und damit das reale Zinsniveau nach oben treiben.
Wenn die vom Staat eingenommenen Steuern und das vom Staat auf den
Finanzmärkten geliehene Geld ausgegeben werden, egal wofür, ist
das vom Standpunkt der Verwertungslogik keine Produktion, sondern Konsum.
Denn selbst in dem Fall, dass damit z.B. der Bau von Straßen oder
Schulen finanziert wird, findet auf diese Weise keine neue
Wertschöpfung statt, sondern reale Mehrwertproduktion der
Vergangenheit (Steuern) oder der Zukunft (Kredit) wird angezapft. Das gilt
natürlich erst recht, wenn der Staat mit diesem Geld in Form von
"Rettungspaketen" bloß die Löcher im Finanzsystem
stopft, faule Kredite der Banken aufkauft etc. Nach dem definitiven Ende
der Finanzblasen-Ökonomie und ihrer Scheinkonjunkturen beläuft
sich die Anforderung an die Staatsfinanzen aber auf ein Vielfaches der
früheren, die auch schon gescheitert war. Da weder eine Erhöhung
der Steuern noch eine Expansion der Staatsanleihen im erforderlichen
Umfang möglich ist, bleibt als ultima ratio nur noch übrig, dass
die Notenpresse Geld aus dem Nichts schöpft und ohne Sicherheiten
oder Gegenleistungen direkt an den Staat überweist. Die Kompetenz der
Notenbanken zur Geldschöpfung ist aber eine rein formale, die den
realen kapitalistischen Wertschöpfungsprozess nur
"ausdrücken", aber nicht ersetzen kann. Das direkte
Anwerfen der Notenpresse wäre daher die größte Finanzblase
überhaupt, die nur in der völligen Entwertung des Geldes und
aller Guthaben, Ansprüche etc. enden kann (Hyperinflation,
Staatsbankrott, Währungsreform).
Die Verlagerung des
Kreditproblems vom Staat auf das Finanzkapital und die aktuelle abermalige
Rückverlagerung auf den Staat bilden eine ausweglose Schleife.
Sicherlich ist nun die weltgesellschaftliche Erschütterung des
kapitalistischen Systems und seiner neoliberalen Legitimation ein Feld,
auf dem sich radikale Kritik der basalen kapitalistischen Formen in
anderer Weise als bisher geltend machen kann. Das heißt aber noch
lange nicht, dass diese radikale Kritik damit schon anschlussfähig
für ein Massenbewusstsein wird, das sich noch ganz in den Kategorien
des modernen Fetischismus bewegt. Die Paradoxie, dass die materiellen
Existenzbedingungen aller Lebensbereiche von der sich auflösenden
Virtualität des Kredits abhängig sind, muss erst bewusst gemacht
werden. In dieser Hinsicht sind die Hürden für eine Negation der
kapitalistischen Totalität nicht niedriger, sondern eher höher
geworden. Wenn die eigene Existenz bedroht ist, klammern sich die Menschen
umso heftiger an die herrschenden Bedingungen. Das heißt heute, dass
alle noch so illusionären Projekte einer staatlichen Rettung des
Kreditsystems Konjunktur haben; auch um den Preis eines Ausmündens in
mörderische Ideologien (Antisemitismus oder Proto-Antisemitismus).
Radikale Kritik muss sich deshalb dem Mainstream des Zeitgeistes erst
recht entgegenstellen, statt sich von ihm mitreißen zu lassen.
How do you see the system's appropriation of classic concepts of
the left-wing, such as "nationalization" or "financial
markets regulation"?
Das Programm des radikalen
Flügels im traditionellen Marxismus kam in martialischer Diktion als
"Diktatur des Proletariats" daher. Immerhin stand dabei noch die
soziale Organisierung im Mittelpunkt, die aber mit einer falschen
Ontologie der abstrakten Arbeit verbunden war. Tatsächlich
verwandelte sich das Programm auf dieser ideologischen Basis in eine
bloße Verstaatlichung der kapitalistischen Kategorien, also in das
Gegenteil von sozialer Emanzipation. Marx selber hat schon in der
"Kritik des Gothaer Programms" gegen diesen Staatsfetischismus
polemisiert, obwohl er selber in manchen früheren Formulierungen
nicht ganz frei davon war. In der historischen Praxis der Systeme
"nachholender Modernisierung" (Sowjetunion, China etc.) hatte
der Begriff des "Arbeiterstaats" nur noch eine legitimatorische
Funktion für die staatskapitalistische Reproduktion. Die meisten
sozialistischen und kommunistischen Parteien im Westen transformierten
diese Vorgabe herunter auf ein Programm der "Nationalisierung"
von Banken und Schlüsselindustrien im Kapitalismus. Die
Staatsorientierung wurde nur noch lose mit dem ausgeleierten Paradigma der
"Arbeiterklasse" verbunden. Stattdessen rückte der Begriff
der "Nation" ins Zentrum und die "soziale Frage" wurde
in eine "nationale Frage" verwandelt. Dieser "Sozialismus
in nationalen Farben" nahm geradezu einen reaktionären Charakter
gegenüber der negativen "Weltvergesellschaftung" des
Kapitals an. Er gehörte schon zur Geschichte einer Auflösung des
traditionellen Marxismus.
In der bürgerlichen
Ökonomie machte sich als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise der
30er Jahre eine "milde", abgeschwächte Staatsorientierung
in Gestalt des Keynesianismus bemerkbar. Diese Doktrin hatte nie etwas mit
noch so verwässerten "sozialistischen" Hoffnungen zu tun;
sie verstand sich im Gegenteil ausdrücklich als Programm zur Rettung
des Kapitalismus vor sich selbst mit Hilfe staatlicher Interventionen,
deren Grundlage in der weiteren Expansion des Staatskredits bestand. Der
"Linkskeynesianismus" versuchte diese Doktrin in einem
quasi-"sozialistischen" Sinne zu wenden. Dabei wurde aber nur
die alte staatskapitalistische Orientierung der längst in die
politische Klasse des Kapitalismus eingemeindeten ehemaligen
"Arbeiterparteien" noch einmal verwässsert und aufgeweicht.
Der Bezug auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie ging
endgültig verloren. Der linkskeynesianische Diskurs bezog sich nicht
mehr grundsätzlich auf die kategoriale Analyse der "Verwertung
des Werts" und der Dynamik des kapitalistischen Formzusammenhangs von
relativem Mehrwert, steigender organischer Zusammensetzung, Fall der
Profitrate und einer Krisentheorie auf dieser Grundlage. Die
Möglichkeit einer "kategorialen Krise" als Fall der
Mehrwertmasse war für dieses Denken völlig ausgeschlossen. Damit
wurde auch eine "kategoriale Kritik" an den basalen Formen des
kapitalistischen Fetisch-Systems noch weniger denkbar als im
traditionellen Marxismus der alten Arbeiterbewegung. Stattdessen sank die
"Kritik" herab zu einer "Widerspruchsbearbeitung" im
Rahmen des explizit nicht mehr in Frage gestellten Kapitalismus, also zu
einer Form ordinärer bürgerlicher
"Wirtschaftspolitik", die blind auf die Expansion des
Staatskredits setzen musste, um daraus vermeintlich sozialen Honig zu
saugen. Als die herrschende ökonomische Wissenschaft und
Wirtschaftspolitik im Zuge der "neoliberalen Revolution" die
keynesianische Doktrin offiziell abservierte, hatte die theoretisch
abgerüstete politische Linke den Keynesianismus für sich allein,
ohne zu reflektieren, dass sie mit einer historischen Leiche verheiratet
war. Rein formal erschien der Keynesianismus nun als grundsätzliche
Opposition zum Neoliberalismus, obwohl er das inhaltlich nie war.
Die neuerliche desperate Wende der politisch-ökonomischen
Eliten zum Staatskredit hat die Linksparteien, aber auch
Bewegungsorganisationen wie Attac auf dem falschen Fuß erwischt.
Scheinbar kommen zentrale Elemente des von ihnen durchgehend vertretenen
Keynesianismus (Verstaatlichung oder "Nationalisierung" von
Banken und möglicherweise Schlüsselindustrien, Regulierung der
Finanzmärkte) plötzlich zu neuen Ehren. Aber dabei handelt es
sich nicht mehr um einen sozialstaatlichen Keynesianismus wie in der
Endzeit der fordistischen Prosperität in den 70er Jahren, sondern um
einen finanzkapitalistischen Notstands-Keynesianismus, der mit einer
Verschärfung der antisozialen staatlichen Arbeits- und
Menschenverwaltung einhergeht. Es ist die paradoxe Verlängerung des
Neoliberalismus mit quasi-keynesianischen Mitteln, weil es an der
historisch manifest werdenden inneren Schranke der Verwertung keine neue,
dritte Option mehr gibt. Der Staatskredit fließt nicht in soziale
Programme, in Bildung und Gesundheitswesen etc., sondern er wird in das
schwarze Loch der maroden Bilanzen geschüttet. Die keynesianische
Linke steht der neuen Qualität der Krise hilflos gegenüber, weil
sie keinen Begriff davon hat. Während sie glaubt, keynesianische
Morgenluft zu wittern, wird ihr in Wirklichkeit die Rechnung
präsentiert für ihre Selbstauslieferung an die kapitalistische
Produktions- und Lebensweise. Wenn sie bei der neuen,
inflationsträchtigen Expansion des Staatskredits
"mitmischen" will, droht sie sich selbst zum integralen
Bestandteil der kapitalistischen Krisenverwaltung zu machen. Anzeichen
dafür gibt es bereits in ganz Europa. Sollte die Partei- und
Bewegungslinke in diesem Sinne "politikfähig" und für
die Eliten des Kapitals "salonfähig" werden, so könnte
ihre "Sozialdemokratisierung" in eine Karriere auf der Grundlage
des Ausnahmezustands münden.
What forms of mediation
between the immanent struggles for basic conditions of survival and the
critique oft the basic categories of the capital system (commodity, value,
money, abstract labor, State, politics) can be established?
Zweifellos ist der außerparlamentarisch organisierte soziale Kampf
für die materiellen und kulturellen Lebensbedürfnisse als
Widerstand gegen die brutale Absenkung des zivilisatorischen Niveaus die
einzige Alternative zur "linkspolitischen" parlamentarischen
Mitarbeit bei der staatlichen Krisenverwaltung. Unvermeidlich wird auch
eine neu konstituierte soziale Gegenbewegung zunächst als immanente
"Widerspruchsbearbeitung" auf den Plan treten, die aber die
Bedürfnisse nicht an den Staat delegiert, sondern autonome
Forderungen stellt, auch wenn diese dem Staat gegenüber erhoben
werden. Dabei geht es z.B. um ausreichend hohe gesetzliche
Mindestlöhne, um Widerstand gegen immer neue Kürzungen der
Sozialtransfers und gegen die repressiven Schikanen oder
Zwangsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung, gegen die Privatisierung oder
Stilllegung von lebenswichtigen öffentlichen Infrastrukturen (etwa
hinsichtlich der medizinischen Versorgung). Aber auch die
Auseinandersetzung um die Bildungsetats und die Kritik der rigiden
inhaltlichen Anbindung von Lehre und Forschung an die obsolet gewordenen
Verwertungsbedürfnisse des Kapitals stehen auf der Tagesordnung.
Dabei besteht ein wichtiges Moment in der Vermittlung
"kategorialer Kritik" darin, zu lernen, wie zwischen
vorwärtstreibenden und affirmativen Formen der
"Widerspruchsbearbeitung" unterschieden werden kann. Dazu
gehört vor allem die Einsicht, dass eine Verteidigung der
Lebensbedürfnisse auf dem politischen Dienstweg völlig
illusorisch geworden ist. Inhaltlich muss die Alternative von direkten
sozialen Forderungen einerseits und der vergeblichen Hoffnung auf
staatliche Konjunkturprogramme für neue Kapitalinvestitionen
andererseits herausgearbeitet werden. Letztere binden das soziale
Bedürfnis von vornherein an eine "gelingende"
Kapitalverwertung auf der verfallenden Basis abstrakter Arbeit und an eine
daraus abgeleitete "Finanzierbarkeit" nach kapitalistischen
Kriterien. Erstere dagegen können einen Weg zur Negation des
"Finanzierbarkeitsterrors" öffnen und an eine
Überwindung der Wert- und Geldform heranführen. Diese
Alternative kann sich, wenn sie geltend gemacht wird, auch innerhalb des
"linken" Teils der politischen Klasse unter den neuen
Krisenbedingungen stellen und dort zu Polarisierungen führen;
vorausgesetzt allerdings, dass sich überhaupt eine soziale
Gegenbewegung konstituiert. Elemente dieser Alternative gab es schon in
der alten Arbeiterbewegung; allerdings vor dem ideologischen Hintergrund
einer Ontologie der abstrakten Arbeit. Eben deshalb wurden soziale
Gegenbewegungen (auch ihrem eigenen arbeitsontologischen Bewusstsein
entsprechend) immer wieder in eine etatistische Orientierung transformiert
und qua "Parteimarxismus" auf eine staatskapitalistische
Interventionspolitik vergattert; denn der Staat ist nun einmal die
zusammenfassende gesellschaftliche Instanz auf Basis der abstrakten
Arbeit. An den historischen Grenzen von abstrakter Arbeit und realer
Kapitalverwertung stellt sich heute die Alternative von sozialer
Gegenbewegung und Etatismus in völlig neuer Weise und muss
konsequenter formuliert werden, wenn die Hoffnung auf den Staatskredit
sich nur noch als Entfesselung der Inflation blamieren kann und keine
sozialen Potentiale mehr enthält.
Ein zweites Moment der
Vermittlung ist die Kritik an allen Formen der sozialen Ausgrenzung, ob
sie nun offen oder indirekt und unterschwellig artikuliert werden. Solange
soziale Bewegungen auf der Ebene der immanenten
"Widerspruchsbearbeitung" operieren, gibt es immer solche
Tendenzen. Schon in der alten Arbeiterbewegung waren Affekte gegen die
unqualifizierten Unterschichten wirksam. Heute sind ähnliche
Haltungen einer allerdings abschmelzenden globalisierten
"Arbeiteraristokratie" gegen die "Herausgefallenen"
oder die Beschäftigten in den Billiglohn-Sektoren zu beobachten; aber
auch in den Unterschichten der jeweiligen "Dominanzkultur"
selbst z.B. gegenüber Migranten. Vor allem aber sind es die vom
Absturz bedrohten akademischen und subakademischen Mittelschichten in den
kapitalistischen Zentren, die ihre eigene Haut retten und ihr spezifisches
Interesse als "Humankapital" zum allgemeinen Ideal der
Emanzipation stilisieren wollen, während ihnen die Existenz der
"Anderen" in Wirklichkeit egal ist. In dem Maße, wie sich
eine soziale Gegenbewegung konstituiert, ist es gerade die Aufgabe der
"kategorialen Kritik", die verschiedenen Potentiale der sozialen
Ausgrenzung, die sich komplex überlagern, analytisch kenntlich zu
machen und ihnen entgegenzutreten.
Das kann nur gelingen, wenn
die Kritik auch vermittelt, dass es jenseits der kapitalistischen
Kategorien leicht möglich ist, die Lebensbedürfnisse
"für alle" zu befriedigen. In dieser Hinsicht besteht die
Aufgabe darin, in den sozialen Gegenbewegungen (sofern sie entstehen) die
ungeheure Diskrepanz zwischen den Potenzen stofflichen Reichtums und der
Unmöglichkeit, diese weiterhin in die kapitalistische Form zu bannen,
bewusst zu machen. Auch wenn die theoretische Reflexion der
kapitalistischen Realkategorien von Wertform und Ware, Mehrwert,
abstrakter Arbeit etc. und deren staatlich-politischer Modulation nicht im
Massenbewusstsein präsent ist, so kann doch die praktische Erfahrung
mobilisiert werden, dass die Kapazitäten für die Befriedigung
der materiellen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse
praktisch-technisch und stofflich existieren, aber vom Kapitalismus lahm
gelegt werden, weil der absurde Selbstzweck der Verwandlung von
"Arbeit" in "mehr Arbeit", von "Geld" in
"mehr Geld" nicht mehr erfüllt werden kann. Wenn immer mehr
Menschen obdachlos werden, während gleichzeitig Wohnraum massenhaft
leer steht, oder wenn immer mehr Kranke und Pflegebedürftige nicht
mehr ausreichend versorgt werden, während die Verwaltung gleichzeitig
Krankenhäuser schließt, Ärzte und Pflegepersonal unter
Druck setzt oder "arbeitslos" macht - dann kann diese Erfahrung
grundsätzlich umgesetzt werden in die radikale Kritik der Waren- und
Geldform, um sie mit der theoretischen Reflexion dieser Kritik
anzureichern.
Eine solche Vorgehensweise ist auch dann
richtig, wenn das sogenannte "ökologische" Problem
(Klimazerstörung, Raubbau, Erosion der natürlichen
Lebensgrundlagen etc.) geltend gemacht wird. Die Vermittlung der
"kategorialen Kritik" hat in dieser Hinsicht die innere
Verschränkung von destruktiven Potenzen in der kapitalistischen
Produktion des stofflichen Reichtums einerseits und der kapitalistischen
Form der sozialen Beziehungen andererseits bewusst zu machen. Es ist nicht
die Produktion einer ausreichenden Menge von Lebensmitteln und
Kulturgütern schlechthin, die zur Zerstörung der
"Biosphäre" führt, sondern die betriebswirtschaftliche
Rationalität der Verwertungslogik, die gleichzeitig arm macht, ihre
eigenen Grundlagen zerstört und die Natur ruiniert. Die destruktive
Potenz bestimmter spezifisch kapitalistischer Formen des stofflichen
Reichtums (automobiler Individualverkehr, Rüstungsindustrie,
Agroindustrie als Giftschleuder usw.) kann nicht gegen die
Vergesellschaftung der sozialen Lebensbedürfnisse ausgespielt werden.
Die Alternative zur "Automobilmachung" ist nicht die
Liquidierung der Mobilität schlechthin, sondern der Ausbau von
öffentlichen Verkehrsmitteln unter gesellschaftlicher Kontrolle im
Widerstand gegen die Privatisierung. Es ist überhaupt perfide, den
auf unwürdige Notrationen gesetzten und kapitalistisch verarmten
Menschen vorzurechnen, sie würden "zu viel konsumieren" und
das Klima kaputt machen. Während die "Klimakatastrophe"
noch vor kurzem in Zeiten der Defizitkonjunktur hohe mediale Wellen
schlug, werden nun in der Krise die offiziellen Ziele einer Reduktion der
Schadstoffe wieder gekappt, weil die kapitalistische Form der Produktion
um jeden Preis erhalten bleiben soll. Es ist aber durchaus möglich,
dass die Krisenverwaltung weitere soziale Restriktionen mit einer
"ökologischen" Legitimation zu flankieren sucht. In diesem
Widerspruch bewegt sich auch eine von Teilen der Mittelschichten getragene
"ökologische" Ideologie, die von "Grenzen des
Kapitalismus" nur im Sinne einer "äußeren
Schranke" der natürlichen Ressourcen sprechen will, während
die "innere Schranke" von abstrakter Arbeit und "Verwertung
des Werts" nur verkürzt wahrgenommen ("Grenzen des
Wachstums") oder ganz verdrängt wird, weil man selber
"ökologisch" bei der Krisenverwaltung mitmischen
möchte. Vom Standpunkt einer weiterentwickelten Kritik der
politischen Ökonomie ist dieser "ökologische
Reduktionismus" ebenso zu kritisieren wie die ökonomisch
affirmative Orientierung auf einen "Krisen-Keynesianismus".
Ein weiterer Schritt in der Vermittlung "kategorialer
Kritik" wäre die Neueröffnung einer Debatte über
gesellschaftliche Planung, die nicht mehr auf abstrakter Arbeit, Warenform
und Staat beruht. Als Erbe der vergangenen Epoche wird gegenwärtig
"Sozialismus" mehr denn je mit "Verstaatlichung"
gleichgesetzt, was nur noch zu paradoxen Wortverbindungen wie
"Finanzmarkt-Sozialismus" führt, in denen sich allerdings
die Realparadoxie der neuen Krisenverhältnisse ausdrückt.
Für eine wirkliche Transformation über den Kapitalismus hinaus
besteht aber die Aufgabe darin, den weltgesellschaftlichen Fluss der
stofflichen und sozialen Ressourcen als solchen neu zu organisieren und
nicht mehr in den Kategorien des "Werts" und seiner
"Arbeitssubstanz" darzustellen, die historisch obsolet geworden
sind. Darin eingeschlossen ist das Problem von Momenten der sozialen
Reproduktion, die noch nie in abstrakter Arbeit und Verwertung aufgingen
und historisch an die Frauen delegiert wurden (Kinderbetreuung, Pflege,
Haushaltstätigkeit, "Liebesarbeit" etc.). An den Grenzen
der Kapitalverwertung bröckelt auch dieser "soziale Kitt".
Eine gesellschaftliche Transformation muss diese Momente ebenfalls neu
organisieren, von der geschlechtlichen Zuschreibung befreien und einen
sozialen Zeitfonds dafür schaffen, der längst möglich ist.
Darüber müsste eine breite gesellschaftliche Debatte
einsetzen, in die zahlreiche Erfahrungen und Kompetenzen eingehen, die
sich nicht auf einen engen theoretischen Fokus beschränken. Die
theoretische Kritik kann nur versuchen, eine solche Debatte anhand der
Krisenentwicklung anzuregen und das Problem der gesellschaftlichen Planung
neu bewusst zu machen.
Gerade weil die "kategoriale
Kritik" des kapitalistischen Formzusammenhangs trotz dessen
historischer Krise nicht bruchlos vermittelbar ist und an die Grenze der
"objektiven Gedankenformen" (Marx) im gesellschaftlichen
Bewusstsein stößt, kann sie sich nicht auf eine im
bürgerlichen Sinne "sachliche" politisch-ökonomische
Engführung der Argumentation begrenzen. Ein wesentliches Moment der
Vermittlung ist gleichzeitig die radikale Ideologiekritik. Alle
affirmative Verarbeitung der Krise im Bewusstsein ist Produktion von
Ideologie, nicht nur in der etatistischen Orientierung oder im
ökologischen Reduktionismus. Auch die modernen Basisideologien von
Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus (das Ressentiment
gegen Sinti und Roma als "Parias" der Moderne) und Sexismus
werden in der Krise verstärkt abgerufen und neu konfiguriert. Im
Hintergrund steht immer die aggressive Verteidigung der jeweils
spezifischen kapitalistischen Existenz von sozialen Schichten im
Konkurrenzkampf. Zentral ist in dieser Hinsicht heute die Ideologie der
"neuen Mittelschichten", die angesichts der Krisenprozesse um
Deutungsmacht und Hegemonie kämpft. Die verschiedenen Elemente der
Ideologieproduktion gehen dabei Amalgamierungen ein, auch indirekt und
unterschwellig. Aufgabe "kategorialer Kritik" ist es daher, die
modulierten "Dispositive" von Ideologiebildung zu analysieren
und den Ideologiebegriff über den traditionellen Marxismus hinaus
tiefer zu durchdringen, um das Programm einer gesellschaftlichen
Transformation mit einem Programm ideologiekritischer Intervention zu
verbinden. Von alledem ist die aktuelle Bewegungslinke mit ihrer
theoretisch abgerüsteten Orientierung auf nur noch symbolische
"Kämpfe" weit entfernt. Deswegen ist auch eine unheilvolle
Konversion von "linken" und "rechten" Positionen einer
verkürzten Kapitalismuskritik überall zu beobachten.
What role can have today the class struggle to spread the class
consciousness, in Lukacsian sense?
Ein traditionelles
Verständnis von "Klassenkämpfen" ist in der neuen
Situation einer absoluten inneren Schranke der Verwertung nicht mehr zu
mobilisieren. Historisch war die gewerkschaftliche und politische
Repräsentanz des "Proletariats" nichts anderes als die
Repräsentanz des selbst-affirmativen "variablen Kapitals"
und damit die Repräsentanz der abstrakten Arbeit. Dabei wurde ein
bloß relativer Gegensatz zwischen dem vermeintlich
transhistorischen, anthropologischen Prinzip der "Arbeit" und
der juristisch verstandenen Form des kapitalistischen Privateigentums
konstruiert, während abstrakte Arbeit und das juristische
Privateigentum an den Produktionsmitteln in Wirklichkeit nur
unterschiedliche Formbestimmungen im gemeinsamen, übergreifenden
Bezugssystem der "Verwertung des Werts" darstellen. Marx hat
diesen übergreifenden Zusammenhang als "automatisches
Subjekt" der modernen Fetisch-Gesellschaft bezeichnet, in den alle
sozialen Lagen als "Funktionen" der Verwertungslogik eingebannt
sind. Es gibt kein ontologisches "Prinzip", auf das sich die
soziale Emanzipation berufen könnte, sondern der Kapitalismus ist nur
durch die konkret-historische Kritik seiner basalen Formen zu
überwinden. Der "Klassenkampf" war im wesentlichen eine
Bewegung des "Kampfs um Anerkennung" auf dem Boden der
kapitalistischen Kategorien. Deshalb übernahm die alte
Arbeiterbewegung vom Protestantismus und der bürgerlichen Ideologie
der Aufklärung nicht nur die Ontologie der abstrakten Arbeit, sondern
auch die Ontologie des kapitalistischen Geschlechterverhältnisses,
d.h. der historischen Zuschreibungen an "Männlichkeit" und
"Weiblichkeit". Was über den "Kampf um
Anerkennung" (Streikrecht, Koalitionsfreiheit, Versammlungsfreiheit,
Wahlrecht etc.) hinausging, lief immer nur auf die Verstaatlichung der
unüberwundenen kapitalistischen Kategorien hinaus. Darin
erschöpfte sich das Sozialismus-Verständnis des
"Klassenkampfs".
In der neuen historischen Situation
wird die längst erreichte "Anerkennung" der
Lohnabhängigen als ökonomische und staatsbürgerliche
Subjekte der Fetisch-Gesellschaft zur Fessel und zur Falle. Die Menschen
sind so auf Gedeih und Verderb an den Zwang zur Verwertung gebunden. Das
ist nicht nur eine Frage des Bewusstseins. Auch objektiv erodiert die
soziale Basis des alten "Klassenkampfs". Unter den Bedingungen
der 3. industriellen Revolution kann das Kapital keine
"produktiven" Armeen der abstrakten Arbeit mehr organisieren.
Weil der Prozess der Individualisierung als Krisenphänomen die
sozialen Filter zerstört, sind die gesellschaftlich atomisierten
Subjekte unmittelbar auf das globale Wertverhältnis bezogen, das
gleichzeitig in Form des nicht mehr einlösbaren Kredits virtualisiert
und damit obsolet wird. Der Erscheinungsform nach ist so eine
"Vielfalt" von diffusen sozialen Lagen entstanden, die sich auf
dem Boden der kapitalistischen Kategorien nicht mehr integrieren lassen.
Kernbelegschaften und Randbelegschaften, Zeitarbeiter und
Unterbeschäftigte, transferabhängige Arbeitslose als Objekte der
Krisenverwaltung, Scheinselbständige und Elendsunternehmer etc.
stellen keine homogene Masse eines "mehrwertschaffenden
Proletariats" dar. Die Bewegungsideologie seit den 90er Jahren hat
diese "Vielfalt" nur affirmativ aufgenommen und unter dem Deckel
der "Multitude" begriffslos versammelt, ohne sie zu
überwinden. Für eine neue Organisierung des sozialen Kampfes
geht es als Ziel nicht mehr um die "Anerkennung" als
mehrwertschaffendes Wesen, sondern nur noch um die Kritik und
Transformation der Wertkategorie selbst und der damit verbundenen
Geschlechterverhältnisse. Grundlage kann nicht eine vorgefundene
kapitalistische Organisation der "Arbeit" sein, die
aufgelöst und demoralisiert wird, sondern allein die selbst-bewusste
Organisierung der konkret-historischen Kritik an den herrschenden
Kategorien aus der immanenten "Widerspruchsbearbeitung" heraus.
Das ist keine Frage der "objektiven" Klassen-Konstitution als
Repräsentanz des "variablen Kapitals", sondern eine Frage
des Bewusstseins. Aber keines "idealistischen" Bewusstseins in
Begriffen etwa einer moralphilosophischen "Ethik", sondern eines
Bewusstseins, das sich der historischen Schranke der Verwertung und dem
Verfall des zivilisatorischen Niveaus stellt.
An dieser Stelle
ist es erforderlich, noch einmal auf das Problem der vom Absturz bedrohten
"neuen Mittelschichten" einzugehen. Die Desorganisation der
industriellen "Armeen der Arbeit" und der Verfall der alten
Arbeiterbewegung gingen einher mit dem Aufstieg dieser qualifizierten
Mittelschichten in der Phase der fordistischen Prosperität. Die
ökonomische Grundlage war nicht die unmittelbare reale
Mehrwertproduktion, sondern die Expansion des Staatskredits. Das
dazugehörige soziale Selbstbewusstsein bestand weniger in der
Ontologie der "Arbeit" als vielmehr im Status eben jenes
"Humankapitals" der "höheren Bildung". Schon die
neue Linke seit 1968 war im wesentlichen eine Mittelschichtsbewegung, auch
wenn sie noch abstrakt-ideologisch aus dem marxistischen Fundus heraus die
vergebliche Vermittlung mit dem auslaufenden "Klassenkampf" des
"Proletariats" suchte. In der Ära der
Finanzblasen-Ökonomie wurden nicht zuletzt die "neuen
Mittelschichten" von der Expansion des privaten Kredits abhängig
gemacht und zunehmend prekarisiert. Gerade in diesem Prozess gewann die
"Weltsicht" des Mittelschichts-Bewusstseins auch in der Linken
eine dominante Position. Die Revivals der alten
"Klassenkampf"-Rhetorik und erst recht ihrer Derivate etwa in
Gestalt der postoperaistischen "Multitude" sind allesamt
implizit (und teilweise auch explizit) aus der Perspektive des kategorial
affirmativen Bewusstseins der Mittelschicht formuliert. Es ist heute nicht
so sehr die längst erodierte Ontologie der "Arbeit", die
den Übergang vom Arbeiterbewegungsmarxismus zur "kategorialen
Kritik" blockiert, sondern die auf ihrem "Humankapital"
beharrende Mittelschichtsideologie, die sich in der "Vielfalt"
der Bewegungsansätze versteckt. Da in eine große soziale
Gegenbewegung unvermeidlich auch die Mittelschichten involviert sind, ist
das Durchbrechen dieser Ideologie von entscheidender Bedeutung.
Das Problem einer Organisierung des sozialen Kampfes, der die desperate
"Vielfalt" der sozialen Lagen jenseits des
"Klassenkampf"-Paradigmas in veränderter Weise integrieren
muss, geht theoretisch nicht von einem Nullpunkt aus. Der Übergang
zur "kategorialen Kritik" findet sich in Ansätzen bei
bedeutenden Theoretikern an den Grenzen des traditionellen Marxismus, so
bei Lukács (und in anderer Weise bei Adorno). Lukács hat die
früheste Vorgabe geliefert in seinem schon 1923 erschienenen Buch
"Geschichte und Klassenbewusstsein", vor allem in dem zentralen
großen Aufsatz zur "Verdinglichung". Wie es angesichts der
damaligen Situation nicht anders zu erwarten ist, verbindet er dabei eine
implizite Ontologie der Arbeit und den daraus folgenden traditionellen
"Klassenstandpunkt" erstmals mit einer Thematisierung der sozial
übergreifenden modernen Fetisch-Konstitution. Lukács hat sich
seine bahnbrechenden Einsichten vom Parteimarxismus als angeblich
"idealistisch" ausreden lassen und ist später zu einer
expliziten und eher langweiligen Ontologie der abstrakten Arbeit
zurückgekehrt. Sein Werk von 1923 ist auch von den neuen
Ansätzen einer "kategorialen Kritik" seit den 80er Jahren
vor allem unter dem Gesichtspunkt des "zugerechneten"
Klassenbewusstseins und des Proletariats als dem vermeintlichen
"Subjekt-Objekt der Geschichte" wahrgenommen worden. Aber sein
früher theoretischer Versuch geht darin nicht auf. Eine erneute
Lektüre unter heutigen Bedingungen fördert überraschende
Erkenntnisse zutage. Was er unter dem Begriff der
"Verdinglichung" zusammenfasst, stellt bereits eine für
lange Zeit unerreichte Kritik der basalen kapitalistischen Formen dar;
manches liest sich wie eine vorweggenommene Kritik des postmodernen
Denkens. Entscheidend ist das Postulat einer kritischen
"Bewusstwerdung" der Warenform als allgemeiner Daseinsform im
Kapitalismus unter Einschluss der Ware Arbeitskraft. Damit kam
Lukács wieder an die vom Arbeiterbewegungsmarxismus ausgeblendete
Marxsche Bestimmung der kapitalistischen Kategorien als "reale
Existenzbedingungen" und gleichzeitig "objektive
Gedankenformen" heran.
Entkleidet man diesen
theoretischen Ansatz seiner "Zurechnung" zu einem
"Standpunkt" der "Arbeit", so kann vieles davon
für eine neue "kategoriale Kritik" unter den Bedingungen
der Individualisierung und des zerfallenden Wertverhältnisses
aufgenommen werden. Wesentlich dabei ist erstens, das von Lukács
noch nicht thematisierte moderne Geschlechterverhältnis auf der
kategorialen Ebene einzubeziehen. Zweitens sind die kritischen
Relativierungen des "proletarischen Klassenbewusstseins", wie
sie im Verdinglichungs-Aufsatz formuliert werden, heute vor allem auf das
Bewusstsein der Mittelschichten zu beziehen (auch dazu finden sich in
diesem Aufsatz bereits Ansätze). Es stellt sich also die Aufgabe
einer Reformulierung der Einsichten von Lukács in der grundlegend
veränderten historischen Situation, um jene kritische
"Bewusstwerdung" der Warenform für eine Re-Integration des
sozialen Kampfes jenseits der kapitalistischen falschen Objektivität
fruchtbar zu machen.
How would you define a concept of
revolution for the present days that could break with the fetishism and
with an erveryday life totally subordinated to the capital's reproduction?
Der Begriff der "Revolution" ist historisch besetzt
durch das Paradigma der großen Französischen Revolution, der
folgenden bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts und der
Revolutionen "nachholender Modernisierung" an der Peripherie des
Weltmarkts im 20. Jahrhundert (Russland, China, "Dritte Welt").
In diesem Kontext war die "Revolution" beschränkt auf die
politische Form der "Machtübernahme" und im 20. Jahrhundert
auf die Verstaatlichung der kapitalistischen Kategorien. Insofern
gehört dieser Begriff zur Durchsetzungsgeschichte von abstrakter
Arbeit, Verwertungslogik und modernem Geschlechterverhältnis. Deshalb
scheint seine Karriere beendet. Im Restmarxismus und in der
Bewegungsideologie spielt die "Revolution" als Akt des
politischen Umsturzes keine Rolle mehr. Aber dabei wird das Kind mit dem
Bade ausgeschüttet. Indem die Linke den Revolutionsbegriff
unaufgearbeitet ad acta gelegt hat, ratifizierte sie nur ihre
Selbstauslieferung an die kapitalistische Daseinsform auf der sozialen
Basis der Mittelschichten.
Marx hat schon in den
Frühschriften den politisch beschränkten Revolutionsbegriff
kritisiert. Für ihn stellte die "soziale Revolution" eine
andere Qualität dar, die zusammen mit dem Wertverhältnis und der
Warenform auch die politische Form der Staatlichkeit abschafft. Wie
später bei Lukács figurierte diese Umwälzung allerdings
auch bei ihm noch als "proletarische Revolution". Gerade dieses
Paradigma blieb aber auf der Stufe des politisch verkürzten
Revolutionsbegriffs stehen. Jenseits der Ontologie der abstrakten Arbeit
stellt sich an der inneren Schranke der Verwertung die Frage der
"sozialen Revolution" neu und anders, nämlich als
Durchbrechen der herrschenden gesellschaftlichen Synthesis in den Formen
des Werts und des kapitalistischen Geschlechterverhältnisses.
"Gesellschaftliche Synthesis" bedeutet nichts anderes als die
spezifische Form der Vergesellschaftung im Sinne einer "negativen
Totalität", die auch nur durch eine gesamtgesellschaftliche
Umwälzung überwunden werden kann.
Gerade deshalb
bedarf es einer sozialen Bewegung im großen und heute im
transnationalen Maßstab, um überhaupt an die gesellschaftliche
Synthesis heranzukommen. Es genügen z.B. keineswegs
Betriebsbesetzungen durch die Belegschaft, die sich dann bloß zum
kollektiven Kapitalsubjekt macht und weiterhin der Synthesis durch Markt
und Konkurrenz ausgeliefert bleibt. Daran sind bisher alle derartigen
Versuche gescheitert (etwa während der großen Krise in
Argentinien). Eine Transformation ist nicht auf der Ebene des
Einzelkapitals oder überhaupt einer partikularen Reproduktion
möglich, sondern die Frage der Synthesis und damit der
gesellschaftlichen Planung jenseits der Warenform bildet immer schon den
Ausgangspunkt (und nicht irgendeinen Endpunkt) des praktischen Bruchs mit
dem Kapitalismus. Insofern ist der Begriff der "Revolution"
nicht einfach gegenstandslos, auch wenn er nichts mehr mit dem alten
"politizistischen" Verständnis zu tun hat. Kritische
Theorie als "kategoriale Kritik" muss auf diesem Gesichtspunkt
der gesellschaftlichen Synthesis beharren, auch gegen das bloß
"symbolische" Bewegungsbewusstsein, das sich diesem
entscheidenden Problem nicht stellen will.
Die
postoperaistische Bewegungslinke redet heute gern davon, "die Welt zu
verändern, ohne die Macht zu übernehmen" (John Holloway).
Dabei tritt an die Stelle der gesellschaftlichen Synthesis ein diffuser
Begriff des "Alltags", der schon seit der 68er-Bewegung Karriere
gemacht hat. Was oft als kulturelle "Revolutionierung des
Alltags" bezeichnet wird, ist zwar immer in der einen oder anderen
Weise die Begleitmusik sozialer Veränderungen; aber auf diesen
Gesichtspunkt reduziert, kann es sich auch um eine kulturelle Anpassung an
die kapitalistische Dynamik handeln. Entsprechende Konzepte der 68er und
der postmodernen Linken sind längst in das kapitalistische
Krisenmanagement eingegangen, z.B. in Gestalt der neoliberalen Propaganda
von individueller "Selbstverantwortung". Die Thematisierung des
"Alltags" kann reale Eingriffe auf der Ebene der
gesellschaftlichen Synthesis nicht ersetzen; und ebensowenig kann sie die
dafür notwendige Eingriffsmacht (etwa durch Streiks, Blockaden,
Lahmlegen der kapitalistischen Nervenbahnen) überflüssig machen.
Die "Machtfrage" beschränkt sich keineswegs auf das
"politizistische" Paradigma der Staatsmacht, sondern sie stellt
sich erst recht als Frage einer sozialen "Gegenmacht" im
Widerstand gegen die Krisenverwaltung. In Wahrheit ist der
"Alltag" nicht per se ein Hort der
"Widerständigkeit", deren Begriff auf diese Weise hohl
wird. Widerstand beginnt im Gegenteil dort, wo die Individuen sich
über ihren bis in die Poren kapitalistisch bestimmten
"Alltag" erheben und überhaupt organisationsfähig
werden.
Die linke Alltagsmetaphysik bezieht sich in
Fortsetzung der gescheiterten Alternativbewegung der 80er Jahre teilweise
auch auf Versuche einer "anderen" Produktions- und Lebensweise
im kleinen Maßstab partikularer "Gemeinschaften", die sich
neo-utopisch oder pragmatistisch legitimieren. Diese Versuche, etwa in
Gestalt einer sogenannten "lokalen Ökonomie" oder der
digitalen Open-Source-Bewegung, können ebensowenig wie
Betriebsbesetzungen die Ebene der gesellschaftlichen Synthesis erreichen.
Als Scheinalternative zu einer sozialen Widerstandsbewegung aus der
kapitalistischen Immanenz heraus drohen sie in eine "Selbstverwaltung
der Armut" umzuschlagen. Soweit dabei sogar der Gedanke einer
"Kritik der Warenform" erscheint, wird er heruntergebrochen auf
ein Format, in dem eine solche Kritik gar nicht möglich ist, ohne
ihren entscheidenden Inhalt zu verlieren und sich in ausweglose
Widersprüche zu verwickeln. Die vermeintlichen Alternativen bleiben
nicht nur in bürgerlichen Vertragsbeziehungen stecken; sie beziehen
sich auch lediglich auf winzige Segmente der Reproduktion, die als Ganzes
nach wie vor kapitalistisch bestimmt ist. Deshalb schielen die
partikularen "Praxisprojekte" in der Regel auf eine externe
Finanzierung durch den Staat, sei es in Form eines
"Grundeinkommens", sei es in Form eines kommunalen Sponsoring.
Keynesianischer Etatismus und Alternativideologie bilden nur die Kehrseite
derselben Medaille; der gemeinsame Nenner ist die direkte oder indirekte
Orientierung auf den Staatskredit. Darin kommt wiederum die
uneingestandene Dominanz des Mittelschichts-Bewusstseins zum Ausdruck, das
stets den Pelz waschen will, ohne ihn nass zu machen. Die keynesianische
und die alternativideologische Linke müssen daher gleichermaßen
die neue Qualität der Krise verdrängen und verleugnen, weil ihre
Illusionen das Ende des globalen Kreditsystems und der
Finanzblasen-Ökonomie nicht überleben können. Mit der
realen Schranke der herrschenden gesellschaftlichen Synthesis werden sie
spätestens dann konfrontiert, wenn der tiefe Einbruch der
Weltkonjunktur den "Alltag" auch in den kapitalistischen Zentren
erreicht.
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Received on Fri May 1 21:46:36 2009
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