Meine Fautobiografie

Eine Erzählung.

 

Fotografie begann, als ich 6 oder 7 war, wenigstens für mich. Da gab mein Vater mir eine "Boxkamera", wie er das nannte - es war wohl eine frühe Kodak Instamatic oder etwas Ähnliches - um damit meine Lehrer und Klassenkameraden zu fotografieren. Und eines Tages wusste ich: Jetzt nimmt er mich als Fotograf für voll. Das war der Tag, als er mir seine damals wertvollste Kamera, eine Agfa Karat 4, in die Hand drückte und sie mir für die Pfadfinderreise nach dem norwegischen Øyer borgte. Für mich ist das immer noch die höchste Ehrung, die ich für Fotografie erhielt. Am ersten Abend der Norwegen-Fahrt kamen wir mit dem Zug in Kiel an, suchten eine Auslage, in der ein Fernseher lief, und standen dann die halbe Nacht auf der Straße und gafften, während Neil Armstrong den Mond betrat. Dann rannten wir zum Fährschiff nach Oslo. Ich war damals 12.

Mein Vater war ein schwer arbeitender Textilingenieur, seine Leidenschaft die Fotografie. Er hatte eine SW-Laborausrüstung, die im höchsten Regal des Abstellraums untergebracht war. So etwa alle zwei Monate, an Freitagen oder Samstagen, nahm er den Vergrößerer herunter, baute ihn in der Küche auf, und bereitete alles für eine lange, arbeitsreiche Nacht vor. Wir aßen dann immer sehr früh, duschten früh, und danach durften weder meine Mutter noch ich Küche oder Badezimmer betreten, die waren nun eine Dunkelkammer. (Es ist wirklich ein Glück, dass Klo und Bad bei uns getrennte Räume waren.) Als ich etwa 9 war, durfte ich meinem Vater in der Dunkelkammer assistieren, aber nur bis zehn Uhr abends.

Ich wurde älter, und mein Interesse an Fotografie wuchs. Ich glaube, es war mein 15 Geburtstag, als mir meine Eltern meine erste Spiegelreflexkamera schenkten: eine russische Zenit. Sie brauchten dafür nureinen Versatzschein auszulösen, den ihnen ein in Geldnot geratener Bekannter billigst verkauft hatte. Dieses russische Ding war schwer und unhadlich, aber ich machte ein paar ganz nette Aufnahmen damit. Wenige Jahre später begann ich mein Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie.

Als ich 21 wurde, lud mich eine befreundete Familie für den Sommer nach Kalifornien ein. Das war für ein willkommener Anlass, eine moderne, gediegene Kamera zu erwerben. Ich schaute mich in der erschwinglichen Preisklasse um, und musste zuletzt zwischen einer Nikon und einer Yashica wählen. Die Entscheidung fiel zu Gunsten der Yashica FR 1, denn ich dachte, ich würde irgendwann genug Geld haben, um die teuren Zeiss (Contax) Objektive dazu zu kaufen. In meiner Erinnerung war dieser Kauf nicht nur der erste, bei dem ich selbst eine Kamerausrüstung erwarb, sondern auch der erste, für den ich mein Budget überschreiten musste.

Die Reise nach Kalifornien veränderte mein Leben nachhaltig. Wenige Monate zuvor hatte ich am Institute of European Studies in Wien Deutsch zu unterrichten begonnen. Ich war damals jünger als einige meiner Studenten, die aus allen Teilen der USA kamen. Mein Englisch war nicht sehr praxisnahe, durch mein Studium zu akademisch. Ziemlich oft in dem ersten Semester hatte ich gemerkt, dass ich meine Studenten nicht verstand. Jetzt das Land zu sehen, woher sie kamen, machte den entscheidenden Unterschied. Ich erkannte, dass die meisten Missverständnisse nicht sprachlicher, sondern kultureller Natur waren. Von nun an verstand ich den Kulturkreis, aus dem meine Studenten kamen, und konnte ihnen durch diese Kenntnis besser helfen, meinen Kulturkreis zu verstehen.

Doch die Reise veränderte auch meinen Zugang zur Fotografie. Ich hatte ein paar Magazine voller Kodachrome-Dias zurückgebracht, zeigte sie unter Freunden her und freute mich, dass mein Publikum werder beim ersten, noch beim letzten Magazinwechsel seinen Unmut äußerte. Die positive Reaktion ermutigte mich, die Bilder einem fotografisch versierteren Kreis vorzustellen. Der Präsident eines Fotoklub unweit meines Wohnorts war der Vater eines meiner engsten Freunde (dieser Mann war übrigens auch Präsident des Verbandes Österreichischer Amateurphotographen-Vereine.). Ich fragte ihn, ob ich meine Dias in seinem Klub präsentiern dürfte. Seine Antwort war vernichtend. Man konnte da nicht einfach etwas herzeigen, man müsste zuerst mal ein paar Wochen aktiv am Klubleben teilnehmen, bei Wettbewerben seine fotografischen Qualitäten unter Beweis stellen, und dann würde man durch Mehrheitsbeschluss der Mitglieder eingeladen, dem Klub beizutreten. Erst dann könnte ich einmal meine Fotos zeigen. Ich ließ mich nicht abschrecken. Er erlaubte mir, gleich bei meinem ersten Erscheinen im Klub mit 4 Dias am monatlichen Wettbewerb teilzunehmen, als Gast, und nur, wenn ich Kritik vertrüge. Ich nahm Architekturaufnahmen aus San Francisco mit. Alle Wettbewerbfotos wurden dreimal gezeigt, drei Juroren machten eifrig Notizen und zogen sich dann zur Beratung zurück. Während ich auf die Ergebnisse wartete, sprachen mich die rund ein Dutzend älteren Herren an, fragten, welche denn von mir gewesen seien, und wo und wie ich sie gemacht hätte. Nach einer langen halben Stunde kamen die Juroren zurück, verkündeten die Gewinner und überreichten kleine Preise. Danach wurden die Bilder nochmals gezeigt, kritisiert, die Punkte für jedes Bild wurden verlesen und von der Juroren begründet. Zu unser aller großen Überraschung stellte sich dabei heraus, dass nicht nur das höchstbewertete Einzelbild von mir stammte, sondern ich auch in der Summe aller vier eingereichten Fotos die Höchstzahl erreicht hatte. Als Gast aber war konnte ich laut Statuten nicht gewinnen. Aber nach dieser Kritikrunde gab der Sprecher der Jury das inoffizielle Ergebnis, wonach ich gewonnen hätte, bekannt und lobte meinen "frischen und aufregenden Blick für Architektur". Dann bat er um eine Abstimmung über meine Aufnahme in den Klub. Zwei Minuten später war ich Mitglied eines Fotoklubs, der damals, am Höhepunkt seiner Vereinsgeschichte, mehrere österreichische Staatsmeister hervorgebracht hatte und auch Mannschaftsstaatsmeister geworden war. - Detail am Rande: Ich brauchte nach dieser Blitzaufnahme fast zwei Jahre, um wieder einen Wettbewerb zu gewinnen :-)

Der Fotoklub Volksheim Inzersdorf und sein Präsident, Johann Strizsik, förderten mein fotografisches Auge und meine Technik immens. Bei den monatlichen Wettbewerben diskutierten und stritten wir über die Vorzüge und Nachteile einzelner Bilder, und in Vorträgen gaben erfahrene Mitglieder Tipps und Hinweise für erfolgreiche Fotografie, oder erläuterten die Entstehung ihrer besten Bilder von der Aufnahme zur Dunkelkammertechnik. Kurz nach meinem Beitritt kamen auch vermehrt jüngere Leute in den Klub und brachten frische Ideens und Sichtweisen. Es dauerte nicht lang, und die Mitglieder mutierten von Kollegen zu Freunden, die sich nicht nur wöchentlich im Klub trafen, sondern auch außerhalb der Vereinszeiten miteinander fotografierten, oder einfach das eine oder andere Bier zusammen tranken. Als unser Präsident frühzeitig verstarb, verstärkten sich noch unsere Bemühungen um fotografische Perfektion, und um noch einen Meisterschaftspokal.

Doch irgendwann wurde ich zum Rebellen. Immer häufiger wich meine Fotografie bewusst von dem ab, was in der Wettbewerbsfotografie "gut" genannt wurde. Denn "gut" bedeutete hier "erfolgsträchtig". Wettbewerbsfotografie war zu einer Angelegenheit geworden, bei der man dem jeweiligen Trend Rechnung tragen musste, um Erfolgschancen zu haben. Und so repräsentierten die Gewinner stets den Mainstream, waren nicht mehr individuelle Fotokünstler. In einem Jahr konnte man nur mit Portraits von verwitterten Gesichtern Neunzigjähriger erfolgreich sein, im nächsten waren blutjunge Tänzerinnen in der "sterbenden Schwan-Pose" gefragt. Die Shows der Gewinner glichen einem Thema mit Variationen. Die Klubs, auch unserer, begannen, ihre Teilnehmer an nationalen Bewerben nicht nach dem individuellen, guten Bild auszuwählen, sondern nur nach dem Kriterium, welches Motiv wohl heuer gefragt und damit gewinnverdächtig sein würde. Auch ein anderes Klubmitglied, mein Freund Horst Rödding, der längst seinen eigenen Stil gefunden und kultiviert hatte, war von diesen neuen Praktiken alles andere als angetan und verließ kurzerhand den Klub. Ein paar Monate später trat auch ich aus dem Klub aus und versuchte von nun an, abseits aller Wettbewerbszwänge meine persönliche fotografische Ausdrucksform zu finden.

Inzwischen waren der ersten USA-Reise viele weitere gefolgt. Ich war vier Mal quer durch das Land von Küste zu Küste gefahren und hatte das Haus meines Freundes Steve Lelewer in Südkalifornien als Ausgangspunkt für zahlreiche Fahrten zu den Nationalparks im Westen der USA genutzt. Von San Diego bis Yellowstone, von San Francisco bis New Mexiko. Das Institute of European Studies sandte mich auf eine sechswöchige Werbereise von Chicago bis zur Ostküste und zurück, und ich richtete es so ein, dass ich die Colleges in New Hampshire, Maine, Vermont und im Staat New York zur Zeit des Indian Summer besuchte. Nebenbei gesagt, fuhr ich am einzigen freien Wochenende dieser Tour nach Montreal und durfte dort mit meinem schäbigen Mittelklasse-Mietauto die Grand Prix Strecke befahren.

Schon früh in diesen Jahren hatte ich erneut meine Ausrüstung gewechselt. Nichts wurde es aus den Zeiss-Objektiven für die Yashica, denn ich war auf Canon umgestiegen und hatte eine A-1 erworben. Da ich gerne bei schlechten Lichtverhältnissen fotografiere, war mir die Zeigernachführung zur Belichtungskontrolle zum Problem geworden; die A-1 hatte ein klares LCD-Display im Sucher. Auch ein zweites Gehäuse brauchte ich, da ich gleichzeitig in SW und Farbe arbeiten wollte; ich erwarbn die AE-1 Program. Als dann die T-90 auf den Markt kam, kaufte ich sie auch noch. Außerdem gab ich die Tamron-Zooms (ein Relikt aus Yashica-Tagen) auf und kaufte Festbrennweiten von 17 bis 300mm. Mitte der Neunziger stieg ich ins Mittelformat auf und investierte in ein Hasselblad System. Mit gewissem Stolz sage ich aber gleich dazu, dass keines meiner großen Hasselblad-Teile neu gekauft wurde; ich erwarb Gebrauchtgeräte in gutem Zustand. Das einzige Zeiss-Objektiv, dass ich je neu kaufte, das CF 4/40 FLE, ist wieder verkauft, denn ich konnte ein zehn Jahre altes Biogon 4.5/38 (903 SWC) in ausgezeichnetem Zustand für einen sehr akzeptablen Preis erwerben. Alle meine Objektive sind die "alten" CF. Zwar hat Hasselblad kürzlich ihre neue CFi-Produktlinie vorgestellt (i steht für improved), aber ich denke, dass die Qualität der Zeiss-Objektive so groß ist, dass das "i" für meine Ansprüche nicht viel verbessern könnte.

1999 eröffnete Wake Forest University ein Programm in Wien. Der Direktor des Programms, Dr. Larry West, kannte mich und meine Arbeit für amerikanische Institutionen. Er schlug mich als Lehrer und Manager des Wiener Programms vor. Solch ein Angebot konnte ich unmöglich ablehnen, immerhin gab mir Wake Forest auch den Webspace für diese Seiten :-) Einer der Vorteile der Arbeit für WFU ist, dass ich hin und wieder zu Besuchen am Reynolda Campus eingeladen werde. Dort kann ich dann so nebenbei auch mit einem sehr guten Freund, dem Universitätsfotografen Ken Bennett gemeinsam fotografieren und über Fotos diskutieren. Meine erste Reise dorthin verlängerte ich um ein paar Tage und fotografierte in den Great Smoky Mountains; ein paar der Fotos sind hier zu sehen. Es ist wohl klar, dass ich hoffe, noch sehr lange für WFU zu arbeiten!

In den letzten Jahren wurde ich immer öfter eingeladen, bei Feiern und Präsentationen im Rahmen der Germanistik an der Uni Wien zu fotografieren. Bei einer dieser Veranstaltungen musste ich feststellen, dass mir sehr oft die Aufnahme einer besonderen Mimik oder Gestik nicht gelang, weil ich nicht schnell genug scharf stellen konnte. Zu gerne hätte ich mehr Grimassen meiner ehemaligen Lehrer auf Film gebannt. Autofokus musste her! Also stellte ich meine Canon-Ausrüstung endgültig in den Kasten und erwarb eine Nikon F-5 mit ein paar AF-S Zoom Nikkoren. Ende 2001 legte ich mir eine Fujifilm TX-1 zu (besser bekannt als Hasselblad X-Pan), meine erste Panoramakamera, und im Grunde auch meine erste Sucherkamera, denn die Agfa Carat 4 war, ohne Wechselobjektive, doch eher eine "point-and-shoot". Seit 2003 nenne ich auch eine alte Leica M6 mein Eigen; so langsam komme ich bei Sucherkameras auf den Geschmack. Leider kam ich 2002 wegen meiner Scheidung und der Suche nach einer neuen Bleibe (die leider immer noch andauert) wenig zum Fotografieren. Aber im Herbst 2002 kam doch noch etwas Schwung in meine Fotosachen, denn WFU gab mir neue Gelegenheit, fotografisch tätig zu werden; unter anderem steuere ich die Bilder für die neue Flow House webpage bei und gestalte die Seite auch. Außerdem kann man einige meine Fotos nun auch auf anderen Webpages finden: in der Leica-Gallery, auf den Fuji Rangefinder Pages, und im Photo.Net.

Ein paar Leute, die damals das Projekt einer Literaturzeitschrift starteten, wurden auf meine germanistisch-fotografischen Arbeiten aufmerksam und fragten an, ob sie von mir Beiträge bekommen könnten, sowohl literarisch als auch fotografisch. Mit dieser Aussicht wurde ich im Juli 2000 freischaffender Pressefotograf mit Gewerbeschein. Ein paar der "literarischen" Fotoarbeiten sind hier zu finden. So ist nun die Fotografie zum Beruf geworden; dennoch erachte ich meine "Arbeit" auch jetzt noch als Vergnügen.

Meine fotografischen Interessen haben sich über die Jahre gewandelt, von der generellen Reisefotografie mit dokumentarischem Charakter und dem "frischen und aufregenden Blick für Architektur" hin zur Landschafts- und Naturfotografie. Vielleicht sollte ich sagen: Fotografie hat mich Sehen gelehrt, und was ich sah, machte mich zum Bewunderer der Natur. Diese Bewunderung möchte ich auf diesen Seiten mit Vielen teilen.