Re: [OPE-L] Derivatives

From: glevy@PRATT.EDU
Date: Sat Feb 11 2006 - 11:43:50 EST


---------------------------- Original Message ----------------------------
Subject: derivatives
From:    "Antonio Pagliarone" <antepaglia@tiscali.it>
Date:    Sat, February 11, 2006 10:29 am
To:      "jerry levi" <glevy@pratt.edu>
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Dear Jerry
Theris a good work on derivative wrote By Nasser Saber "Speculative
Capital & Derivatives" I and II published by Finantial Time Prentice Hall
in 1999 here the Paolo Giussani article on this topic in german

    Spekulatives Wachstum
    von Paolo Giussani, Mailand, April 2000

    Die noch immer auf vollen Touren laufende Spekulationswelle übertrifft
an Ausdehnung und Dauer alles, was wir aus der jüngeren Geschichte
kennen. Es handelt sich auch nicht einfach um eine - wenn auch
ungewöhnlich große - »Blase«, sondern um die Veränderung der gesamten
Physiologie des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Sie ernährt das
spekulativ investierte Kapital, das mit dem Kauf und Verkauf von
Titeln, hauptsächlich Aktien, die positiven Preisdifferenzen
realisiert, die sich kontinuierlich auf dem ganzen Globus zeigen.
Heute ist praktisch das ganze existierende Geld auf die eine oder
andere Weise mit der Spekulation verbunden; entweder, weil es
automatisch in Pensionsfonds oder Investmentfonds gesteckt wird, oder
weil es dem private banking anvertraut wird, oder weil die größeren
Firmen des Produktions- oder Handelssektors ihre flüssigen Mittel
ihren eigens gegründeten Finanzunterfirmen überlassen, damit diese es
in irgendeiner Form spekulativ anlegen. Bargeld (Cash) scheint
verschwunden zu sein und vom schwarzen Loch der Finanz verschluckt:
cash is trash! ist das hysterische Motto unserer Zeit, und Geld, das
nicht immer wieder in Titel verwandelt wird, scheint nicht einmal
existieren zu können.

    Aber die Geschichte hat nicht gestern begonnen, sondern vor ungefähr
25 Jahren, Mitte der siebziger Jahre, im Bereich der
Währungsspekulation, um sich dann Anfang des darauffolgenden
Jahrzehnts auf die Börse auszudehnen. Der Standard & Poor's Composite
500-Index der Börse von New York, der ca. 85 Prozent des Aktienmarktes
enthält, ist von 1980 bis heute inflationsbereinigt auf ungefähr das
Zehnfache gewachsen bei einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum
von fast 14 Prozent, das in den letzten fünf Jahren auf 25 Prozent
gestiegen ist; damit beschämt er sogar die außerordentliche
Performance des Spekulationsjahrzehnts par eccellence in der
Geschichte des zeitgenössischen Kapitalismus, die zwanziger Jahre
nämlich, in denen die Aktienpreise im Jahresdurchschnitt um etwas mehr
als 12 Prozent stiegen - bis zum großen Crash vom Oktober 1929.
Gleichzeitig ist der jährliche Umsatz an der Wall Street, also die
Summe der jährlichen Aktientransaktionen, im Verhältnis zum
amerikanischen Bruttoinlandsprodukt von durchschnittlich 25 Prozent im
Zeitraum 1933-1982 in den letzten drei Jahren nacheinander auf Werte
von 150, 220 und 330 Prozent gestiegen; das bedeutet, der Jahresumsatz
an der Wall Street hat annähernd dreißig Billionen Dollar erreicht.
Ein Teil dieser unglaublichen Größe ist der deutlichen Beschleunigung
der Transaktionen geschuldet; aber der weitaus überwiegende Anteil des
Wachstums von 25 auf 330 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in ca. 20
Jahren ist auf die Netto-Immission von Geld in den Markt
zurückzuführen: heute ist schätzungsweise das Fünf- bis Sechsfache der
Geldmenge im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt angelegt als vor den
achtziger Jahren.

    Selbstverständlich widerspricht die Anlage von spekulativem Kapital
nicht im geringsten dem allgemeinen Prinzip des Kapitals, sich zu
erweitern, von dem es vollständig reguliert und beherrscht wird. Im
Geldwesen erscheint die Sache nur klarer, da man es mit reinen Zahlen
zu tun hat, die beständig wachsen, ohne die lästige Vermittlung
irgendeiner Art von Produktion. Gleichwohl muß bedacht werden, daß das
Ansteigen der Aktienpreise, die in zusammengefaßten Markt-Indizes
ausgedrückt werden, nicht der Realisierung eines Profits für diesen
bestimmten Titel gleichkommt, so wie der Verkauf einer Ware zu einem
Preis oberhalb ihrer Produktionskosten für den Verkäufer/Produzenten
Profit einbringt. Im letzteren Fall werden die Waren im Austausch
gegen Geld produziert und verkauft; danach enden sie im produktiven
oder unproduktiven Konsum, wo sie ihre materiellen Eigenschaften
verlieren, um etwas anderes zu werden. Ihr Preis existiert nicht mehr,
er ist als Teil des Preises einer anderen Ware übertragen worden oder
ist ganz einfach zerstört worden, während das Geld weiterhin
zirkuliert und produzierte Waren ihren Herrn und ihren Ort austauschen
läßt. In der Zirkulation des spekulativen Kapitals bewegen sich die
Dinge anders. Die Waren selbst, die Aktientitel zum Beispiel,
zirkulieren auf Ewigkeit weiter, indem sie um das Geld kreisen, mit
dem sie sich tauschen, welches seinerseits genau dasselbe macht.
Solange bis zusätzliches Geld in den spekulativen Kreislauf eintritt,
steigen die Preise und erzeugen Geldgewinne bei Aktien, die
verkauft/gekauft werden, bzw. rein nominelle oder ideelle Gewinne bei
Aktien, die im Portfolio bleiben und nicht eingetauscht werden. Wenn
all die Aktien, die den nominell bestehenden Kapitalstock bilden,
gleichzeitig verkauft würden, würde man bemerken, daß die Gewinne, die
man am Vortag auf der Basis der vorangegangenen Preisbewegungen
berechnet hatte, rein nominell sind und nicht in Geld realisiert
werden können.

    Der Grund dafür, daß Geld in spekulative Anlagen fließt, ist darin zu
sehen, daß die Titel nicht reproduzierbare Waren sind, die direkt oder
indirekt verbunden sind mit Aktivitäten bzw. mit Kapitalen, die Profit
produzieren - ein Umstand, der dem investierten Geld eine doppelte
Funktion zuzuweisen scheint: zusätzlichen Profit zu schaffen, wovon
sich ihr Inhaber mittels der Dividende einen Teil aneignet, und
augenblickliche Profite zu ermöglichen in Form von Preisanstiegen, den
sogenannten capital gains. Davon leitet sich die Theorie ab, die
Aktienpreise würden die zukünftig zu erwartenden Renditen des von
ihnen repräsentierten produktiven Kapitals widerspiegeln - eine
Theorie, die sich auf eine leere Banalität reduziert in nicht
spekulativen Zeiten, wenn neue Aktien vorwiegend zur Finanzierung
neuer Investitionen d.h. der Akkumulation ausgegeben werden
(Primärmarkt), und die vollkommen falsch ist, wenn vorwiegend
existierende Aktien verkauft/gekauft werden (der sogenannte
Sekundärmarkt), und die Preise im Durchschnitt weit über die Niveaus
steigen, die vom Wachstum des fixen Kapitals der an der Börse
gehandelten Firmen bestimmt werden.

    Die Ursprünge
    Einer der größten frommen Wünsche des durchschnittlichen linken
Denkens ist die Vorstellung, es gäbe eine Art Gegensatz zwischen
Spekulanten und produktiven Kapitalisten. Für gewöhnlich wird diese
Vorstellung noch angeheizt durch die Empörung gegen die Spekulation
als unzüchtiger und parasitärer Verirrung. Schon die Vorstellung, es
gäbe »Spekulanten«, ist eine der fast unendlichen metropolitanen
Legenden, die im Umlauf sind; vielleicht hat sie ein calvinistischer
Moralist in Umlauf gesetzt, der harte körperliche Arbeit liebte.

    Das Auftauchen des spekulativen Kapitals in unserem Zeitalter hat
seinen Ursprung genau im produktiven Sektor, und um noch genauer zu
sein: bei den Großunternehmen in Japan, dem weltweit größten Land des
Industrialismus. Diese Unternehmen verfügten Mitte der siebziger Jahre
über flüssige Überschüsse und begannen mit den Wechselkursen der
Devisen zu spekulieren; dabei nutzten sie die wachsende Stärke des Yen
im neuen Regime der flexiblen Wechselkurse im Gefolge des
Zusammenbruchs des Bretton-Woods-Systems; außerdem verliehen sie nach
allen Seiten Geld, auch ins Ausland. Von hier dehnte sich die
Spekulationsbewegung auf die Börse aus, ihr natürliches Zentrum, und
auf die Vereinigten Staaten, wo sie allmählich eine historisch
beispiellose Ausdehnung und Bedeutung annahm.

    Heutzutage sind spekulatives Kapital und produktives Kapital dermaßen
miteinander verflochten, daß es unmöglich ist zu sagen, welches real
überwiegt. Alle Großunternehmen der Welt spekulieren mit ihren
liquiden Mitteln. Häufig kaufen sie damit auf dem Markt ihre eigenen
Aktien auf und weisen die Preiserhöhungen des eigenen Aktienpakets als
Profit aus (non operating income); sie bezahlen ihre Beschäftigten,
vor allem die Manager, in wachsendem Maß mit Optionen auf die eigenen
Aktien; sie ersetzen allmählich die Techniker und Manager
traditionellen Typs durch Experten in Finanztechnik; sie ändern die
eigene Unternehmensform, indem sie sich in verschiedene Segmente
aufspalten, um zu Spekulationszwecken Aktien auszugeben. Die
steigenden Aktienkurse machen ein solches Vorgehen gleichzeitig
attraktiv und zwingend erforderlich, weil sie nicht nur gigantische
Gewinne versprechen, sondern shareholder dazu treibt, ihre
Aktienpakete aufzulösen, um die gains einstecken zu können, was dazu
führen kann, daß die kapitalistische Unternehmenseinheit selbst
aufgelöst wird.

    Das Geld
    Verantwortlich für die große Aufwärtsbewegung des spekulativen
Kapitals sind die institutionellen Anleger, Investmentfonds und
Pensionsfonds; das erklärt auch die größere Ausdehnung des
amerikanischen Aktienmarkts im Vergleich zum europäischen. Im
Verhältnis zu diesen immensen Kanälen, die Gelder von vielen
zusammenlegten und ein vergesellschaftetes spekulatives Kapital
schufen, sind die Privatanleger eine recht kleine Fraktion, die
ihrerseits von der Tätigkeit der Banken, d.h. anderen institutionellen
Anlegern, beherrscht wird. Das ist aber bei weitem noch nicht alles.
Einen beträchtlichen und beständig wachsenden Bestandteil des
spekulativ investierten Kapitals bildet eigens für diesen Zweck
geschaffenes Kreditgeld. Diese Bewegung hat in den letzten Jahren
einen wahren Boom durchgemacht: 1985 machte dieses Geld 30 Prozent des
gesamten geschaffenen Kredits aus, heute sind es 75 Prozent des neu
geschaffenen Kredits. Nicht nur die traditionellen Banken (die
Handelsbanken) schaffen diesen Kredit; ihnen hat sich eine Pletora von
Institutionen zugesellt - Money Market Funds, Government Sponsored
Enterprises, usw. -, die die Arbeit der Banken schneller und mit
weniger liquiden Reserven erledigen können.

    Wesentlich zur Ausweitung des Kredits beigetragen hat das unglaubliche
Wachstum der Derivate in den letzten zehn Jahren, die wirklich große
Neuheit beim Siegeszug des spekulativen Kapitals. Sie haben den
bestehenden Anlagenwert von ca. 600 Milliarden US-Dollar im Jahre 1986
auf 17 Billionen im Jahr 1999 erhöht, das ist das 28fache. Nasser
Saber scheint gute Gründe zu haben, wenn er in seinem äußerst
interessanten Buch Speculative Capital (Verlag Prentice Hall -
Financial Times, London 1999) behauptet, daß die Derivate die
funktionale Form des spekulativen Kapitals sind, da sie gestatten, das
Geldkapital auf absolut angemessene Weise anzulegen, um von den
Preisdifferenzen zu profitieren, die die unaufhörlichen Schwankungen
des Weltfinanzmarkts ständig hervorbringen.

    Die offizielle Theorie sieht in den Derivaten ein vernünftiges Mittel
zur Risikoabsicherung (risk hedging), weshalb ihr Wachstum ein Index
für ein geringeres allgemeines Risiko sei. Diese Theorie ist natürlich
lächerlich, wenn man bedenkt, daß die Derivate zwar eine Absicherung
gegen das Risiko sind, aber nur weil sie es auf jemand anderen
verlagern, und sicherlich nicht, indem sie es eliminieren. Sie lassen
es sogar allgemein stark anwachsen, weil sie eine größere Verschuldung
ermöglichen, wie sie der leverage-Grad anzeigt, das Verhältnis
zwischen Verschuldung und Eigenkapital, das bei den größeren
amerikanischen Banken, die im Spekulationsgeschäft mit Derivaten
engagiert sind, inzwischen den sciencefictionmäßigen Wert von 100
erreicht hat, während ein Wert oberhalb von 1 in jedweder produktiven
Tätigkeit als untragbar angesehen wird.

    Wie läuft denn nun aber normalerweise die Spekulation mit Derivaten?
Es gibt unzählige Arten von Derivaten, doch grundlegend teilen sie
sich in zwei große Kategorien auf: options und forwards. Die options
bestehen in dem Recht, nicht der Pflicht, ein bestimmtes
Finanzinstrument zu einem bestimmten Preis an einem vorher
festgelegten Datum zu verkaufen (put option) oder zu kaufen (call
option). Die forwards hingegen bestehen aus der Pflicht, ein
bestimmtes Finanzinstrument zu einem bestimmten Preis an einem vorher
festgelegten Datum zu kaufen oder zu verkaufen.

    Da die Summen, um die es dabei geht, recht klein sind - der Preis des
Derivats beträgt ein Bruchteil des Aktienpreises - ist leicht zu
sehen, wie einfach es für den Anleger ist, Kredite auf options und
forwards zu erhalten. Diese Summen können jedoch augenblicklich
riesengroß werden, wenn der Spieler unvorhergesehenen
Richtungsänderungen des Marktes nachkommen muß, die ihn zu
Sofortkäufen oder -verkäufen zwingen, wenn er long bei Titeln und
short bei flüssigen Mitteln ist, oder umgekehrt.

    Ein typischer spekulativer Gebrauch von options ist die bei
amerikanischen Firmen immer gebräuchlichere Praxis, den eigenen
Angestellten als Gehaltsbestandteil Optionen auf Firmenaktien zu
geben. Wenn bis zur Fälligkeit der Option zum Erwerb der Firmenaktien
der Preis der Aktien im Vergleich zum in der Option angegebenen Preis
angestiegen ist, wird der Angestellte natürlich sein Erwerbsrecht
ausüben, um die Titel im selben Augenblick wieder zu verkaufen und
somit einen sofortigen Profit ohne Risiko einzustreichen. Das Risiko
wird somit auf die Firma selbst übertragen, die gegebenenfalls nicht
die liquiden Mittel hat, um die Aktien am Markt zurückzukaufen und sie
dem Angestellten unter Preis weiterzuverkaufen, um so ihrer
Verpflichtung nachzukommen, die sie mit der Ausgabe der Optionsscheine
eingegangen ist. Und wenn sie doch über die liquiden Mittel verfügt,
muß sie einen immer größeren Teil davon aufwenden, um sie dem
Angestellten zukommen zu lassen. Sollte sich der gegenwärtige Trend
fortsetzen, dann müßten die amerikanischen Unternehmen in vier bis
fünf Jahren fast 100 Prozent ihres akkumulierbaren Nettoprofits für
die buybacks ihrer eigenen Aktien aufwenden.

    Die Grundlagen
    Da nun aber wohlbekannt ist, daß die Börse Profite von einem Sektor in
den anderen und von einem Individuum zum andern übertragen kann, aber
natürlich keinen gesellschaftlichen Zusatzprofit schaffen kann, mußte
die Finanzexpansion der letzten 20 Jahre auf einem außerordentlichen
Wachstum der den Lohnabhängigen abgepreßten Profite basieren - ein
Phänomen, das in den Statistiken der nationalen Buchführung ganz klar
zum Ausdruck kommt. Im Nationaleinkommen der Vereinigten Staaten ist
das Verhältnis zwischen Profiten und Löhnen von 1981 bis Ende 1999 von
0,41 auf ca. 0,6 gewachsen. Dieses Wachstum um ca. 50 Prozent macht
praktisch den gesamten Fortschritt der Lohnquote gegenüber den
Profiten im Lauf der vorangegangenen 30 Jahre - von 0,6 im Jahre 1952
auf 0,41 im Jahre 1981 - zunichte. Eine Verminderung der Lohnquote im
Nationaleinkommen in solchen Proportionen, deren Ursache im Sinken der
Reallöhne und der unglaublichen Erhöhung der Intensität des
Arbeitsprozesses liegt, ist ein in der zeitgenössischen Geschichte
weithin unbekanntes Phänomen.

    Daraus erklärt sich der größte Teil des außergewöhnlichen Wachstums
der allgemeinen Profitrate der amerikanischen Ökonomie in den letzten
20 Jahren. Die Profitrate, die sich bemißt aus dem Verhältnis zwischen
dem jährlichen Fluß an Bruttoprofiten und dem Nettostock an fixem
Kapital (ohne Grundstücke), das im Privatsektor investiert ist, ist
von einem Wert von 0,08 im Jahre 1981 auf 0,15 im Jahre 1999 gewachsen
oder um 87,5 Prozent in 18 Jahren, eine Veränderung, die einen Gutteil
ihres Falls in der Nachkriegszeit aufholt; sie erklärt sich zu 75
Prozent aus der Verschlechterung der relativen Position der
Lohnabhängigen und zu 25 Prozent aus der Intensivierung des
Arbeitsprozesses, was die Rationalisierung und höhere physische
Ausquetschung der Anlagen, Strukturen und Maschinen erlaubt hat.
Parallel zu dieser reinen Umkehrung der Tendenz der Profitrate gab es
keinerlei Entsprechung in Form einer Anstiegstendenz der
Akkumulationsrate (Rate der Erhöhung des fixen Kapitalstocks), sondern
ihr unerbittlicher Fall hat sich fortgesetzt. Dieser Fall hat schon in
den siebziger Jahren begonnen, als sich die typische Anstiegstendenz
im golden age des Kapitals in der Nachkriegszeit umkehrte. Die
sinkende Akkumulationsrate markiert die fortschreitende Abnahme der
Akkumulation von produktivem Kapital, die durch die Akkumulation von
fiktivem Nominalkapital ersetzt wird, dank dessen beständiger
Preissteigerung.

    Es ist klar, daß es an diesem Punkt keinerlei Entsprechung mehr gibt
zwischen dem Geldwert des fixen Kapitals und dem Geldwert der
Eigentumstitel auf dieses selbe fixe Kapital - obgleich das Kapital
natürlich nicht zweimal existieren kann und der Aktienhalter nichts
anderes ist als der Inhaber des Anteils an fixem Kapital einer
bestimmten Firma, dermaßen, daß wenn es vorkommt, daß der Preis der
Aktien einer solchen Firma, die ihr Kapital bilden, verfällt, sie
augenblicklich auf Null abstürzt. Einigen Schätzungen zufolge ist der
gesamte Stock an nominellem Kapital, das im Standard & Poor's Index
der New Yorker Börse enthalten ist, ungefähr zweimal so viel wert wie
der entsprechende gesamte Stock an fixem Kapital, und der viel
kleinere Dow Jones Industrial Average (ca. 21 Prozent des Marktes)
sogar viermal soviel, ein wahrhaft phantastischer Anstieg von
annähernd gleichen Niveaus Mitte der siebziger Jahre. Von einem
anderen Beobachtungspunkt aus stellt sich ein solches Phänomen dar als
gigantisches Wachstum des Verhältnisses Price/Earning (P/E), d.h. des
Verhältnisses zwischen den Aktienpreisen und den Profiten der Firma,
das vom Wert 6,7 im Jahr 1980 auf den Wert 37,2 Anfang diesen Jahres
gestiegen ist (S&P-Index) und damit um 2,6 Mal größer ist als der
Mittelwert der Nachkriegszeit, der bei etwa 14 lag. Eine Entwertung
wäre nötig oder ein Crash um ungefähr 45 Prozent des Gesamtwerts der
an der Wall Street notierten Aktien, um den P/E auf seinen
Durchschnittswert aus fünfzig Jahren zu bringen. Das ist
offensichtlich mit dem Verhältnis Dividend/Price (D/P), auch dividend
yield genannt, bereits geschehen. Es entspricht der Profitrate aus
Sicht des Aktionärs, der mit Dividenden einen Anteil am
Unternehmensprofit einzustreichen will. Dieses Verhältnis ist auf ein
ganz tiefes Niveau gefallen, nämlich von 0,05 im Jahre 1975 auf 0,012
Ende 1999, so daß die Dividenden zu einem praktisch unerheblichen
Bestandteil der gesamten Börsengewinne geworden sind (capital gains +
Dividenden), deren Gesamtrate sich aus der Formel (þP + D)/P ergibt.

    Es ist sehr schwierig, eine vertretbare Schätzung der effektiven
Finanzprofite der letzten 20 Jahre abzugeben. Die klassischen Ökonomen
haben sie mit Bezug auf die Theoretiker des Merkantilismus des 17.
Jahrhunderts profits upon alienation genannt, um sie von mittels
Warenproduktion realisierten Profiten zu unterscheiden. Sie
entspringen aus der definitiven Monetarisierung der Zuwächse der
Aktienwerte und stellen die Materialisierung des Bluttransfers aus den
Arterien der Arbeiter zum spekulativen Nosferatu dar. Solche Gewinne
machten einen Teil des (Pseudo-)Booms der amerikanischen Wirtschaft
aus.

    Ein Teil dieser monetarisierten Profite ist im Finanzsektor selbst
reinvestiert worden, um Ausrüstungsgegenstände zu erwerben (Computer
und Kommunikationselektronik aller Art), Büros einzurichten, usw..

    Ein weiterer Teil ging in höhere Gehälter und verschiedene Prämien an
die Manager und Funktionäre des Finanz- und anderer Sektoren - Geld,
womit sich dieses dreckige Lumpenpack Luxusgüter und
Luxusdienstleistungen gekauft hat.

    Einen dritten Teil sackte der Staat in Form von erhöhten
Steuereinnahmen ein, womit die Regierung einen beträchtlichen Teil der
öffentlichen Verschuldung abgebaut hat; das sollte dazu dienen, Raum
für die private Verschuldung zu schaffen, um die Investitionen in
Aktien statt in Bonds zu fördern. Der Gebrauch dieser profits upon
alienation zusammengenommen mit der Wirkung der vulgären
Statistiktricks, die von der Clinton-Administration seit 1995
eingeführt wurden, um die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts und
der Produktivität (Nettoprodukt pro Arbeitsstunde) künstlich anwachsen
zu lassen, macht 100 Prozent des amerikanischen Wachstums der letzten
fünf Jahre aus, bei dem alles eine Rolle gespielt hat - nur nicht die
Kapitalakkumulation.

    Der Boom in den USA
    Die fanatischen Bewunderer von Informatik und Videogames haben nicht
völlig unrecht. Die heutige Realität wird tatsächlich immer
virtueller. Ein gutes Beispiel dafür ist der zur Zeit angeblich
ablaufende Boom der amerikanischen Wirtschaft. Er gab Anlaß zum
lächerlichen Etikett New Economy, das der pathetische Scharlatan
Greenspan erfunden hat, um eine Ökonomie zu beschreiben, die ohne
Inflation wachsen kann. Dies sei möglich aufgrund der fantastischen
Produktivitätszuwächse durch die neuen Technologien. Gleichzeitig
mache es das explosive Wachstum der Finanzströme möglich, Manna vom
Himmel an all diejenigen zu verteilen, die so mutig sind, ein geringes
Risiko einzugehen.

    Wenn wir die Daten der amerikanischen Wirtschaft im letzten Jahrzehnt
nach Sektoren zerlegen, so gehen mehr als 60 Prozent des Wachstums des
Bruttoinlandsprodukts auf die Computerproduktion zurück, während in
dieser Branche gerade mal zwei Prozent der lohnabhängig Beschäftigten
der USA arbeiten. Wir haben es offensichtlich mit einem Wunder zu tun,
vor dem alle Wunder der Heiligen Schriften verblassen! Aber das Wunder
hat nicht in der Wirklichkeit stattgefunden, sondern in ihrem
virtuellen Gegenstück, den vom Bureau of Economics Analysis
ausgearbeiteten Statistiken, dem Büro des Handelsministeriums der
US-Regierung. Dieses (bis dahin) unschuldige BEA wurde angewiesen,
eine neue Methode zur Berechnung der Inflation anzuwenden, um die
virtuellen oder propagandistisch erwünschten Ergebnisse zu erhalten.
Herauskam die chained method, eine Anwendung des hedonic price index,
der wiederum eine ideologische Konstruktion der neoklassischen
Wirtschafts»theorie« ist, die sich bekanntermaßen auf die Berechnung
des subjektiven Nutzens der Güter stützt. Im Computersektor berechnete
die neue Methode nicht mehr die Menge physischer Produkte pro
Arbeitsstunde (1, 2 ... n Computer), sondern von Einheiten an
computing power, die mit der Einführung neuer Prozessortypen maßlos
ansteigt, auch wenn sich in Wirklichkeit wenig oder nichts ändert. Das
Ergebnis war, daß im Zeitraum 1995-99 die Hardwarebranche eine
durchschnittliche jährliche Produktivitätssteigerung von 42 Prozent
auswies, was fast eine Versechsfachung der Produktivität in fünf
Jahren bedeutet! Durch diesen Kniff verwandelte sich die Inflation in
der Hardwarebranche in ihr genaues Gegenteil, nämlich eine
Dis-Inflation (Sinken des Preises im Vergleich zu dem als »real«
angenommenen Preis) von 1:14 im Jahr 1999. Um diese Disinflation
rauszurechnen - die natürlich die BEA selbst erfunden hatte -
multiplizierte man den Gegenwert der Computerproduktion in US-Dollar
mit 14. Dadurch sprang nicht nur das jährliche Wachstum des
Bruttoinlandsprodukts von bescheidenen 1,7 Prozent (was unterhalb des
gleichzeitigen Wachstums in Deutschland liegt!) auf 4 Prozent (also in
Bereiche des Nachkriegsbooms!), sondern der tendenzielle Verfall der
Produktivität, der natürlich aus dem chronischen Verfall der
Investitionen in fixes Kapital herrührt, kehrte sich plötzlich um: Der
Produktivitätszuwachs gewann somit im Zeitraum 1995-99 zirka 85
Prozent von dem zurück, was er von 1970 bis 1995 im Vergleich zum
goldenen Zeitalter 1950-72 verloren hatte.

    Wenn wir statt der chained method die traditionelle fixed
price-Methode anwenden, um aus dem Geldwert der produzierten Computer
und aus dem Gesamtprodukt die Inflation herauszurechnen, hat sich der
Fall des Produktivitätszuwachses sogar noch weiter beschleunigt.
Natürlich sind die anderen Branchen, die keine Computer produzieren,
selbst dann (noch) nicht in der Lage, größere Zuwächse in der
Produktion oder in der Produktivität auszuweisen, wenn wir auf sie
ebenfalls die neue Methode anwenden. Dieser Umstand macht deutlich,
daß der Produktivitätszuwachs der Hardwarebranche nicht nur ein
lediglich scheinbarer ist, sondern auch ein Phänomen um seiner selbst
willen: außerhalb der Hardwarebranche gibt es keinerlei größeres
Wachstum, auch die verbreitete Anwendung der Computer in der
Produktion hat zu keiner Verbesserung der Produktivität in bezug auf
den seit fast 25 Jahren rückläufigen Trend geführt. Daß die chained
method ein Betrug ist, zeigt sich auch daran, daß trotz der
Schönrechnerei des BEA sowohl der Gesamtproduktion der Hardwarebranche
wie ihrer Produktivität, die Profite der Branche und ihrer großen
Firmen in den letzten Jahren keineswegs gestiegen sind, wie man aus
Branchenberechnungen und aus den Bilanzen von Microsoft. IBM, Intel
usw. sehen kann. Natürlich müßten sich deutlich überdurchschnittliche
Produktivitätszuwächse direkt auf die Brutto- und die Nettoprofite
auswirken - aber diesesmal vollzieht sich das umgekehrte Wunder, und
wir finden keine Spur eines solchen Ereignisses. Somit scheint es
völlig sinnlos zu sein, solche Produktivitätszuwächse zu erzielen!

    Außer der Tatsache, daß er zu einem Gutteil auf virtuellen
Berechnungen beruht, läßt sich der Boom der amerikanischen Ökonomie
mit folgenden grundlegenden Merkmalen charakterisieren, die alle zu
bizarr sind, um Bestandteile einer tatsächlichen ökonomischen
Expansion zu sein. Zudem sind sie den Charakteristiken des letzten
tatsächlichen Wirtschaftsbooms in der langen Nachkriegsexpansion von
1947 bis 1973, die von den Historikern das goldene Zeitalter des
modernen Kapitalismus genannt wird, völlig entgegengesetzt:

      1.. Die Akkumulationsrate stagniert oder geht sogar tendenziell
zurück, während der Konsum von hauptsächlich importierten
Luxusgütern geradezu explodiert.
      2.. Die private Sparquote fällt in bezug auf das verfügbare
Einkommen steil ab, in den letzten beiden Jahren ist sie sogar
negativ geworden (-2 Prozent im Jahr 1999).
      3.. Die Verschuldung wächst im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt
stark an; allein in den letzten zehn Jahren um 60 Prozent.
      4.. Die Reallöhne stagnieren - seit Mitte der siebziger Jahre - und
die ungleiche Einkommensverteilung in der Gesellschaft hat stark
zugenommen.
      5.. Die USA sind vom weltweit größten Kreditgeber zum weltweit
größten Schuldner geworden.
      6.. Nach einem starken Anwachsen sowohl der Profitrate wie der
Profitmasse hat letztere erst stagniert und ist dann in den letzten
drei Jahren leicht gefallen - ein Schlag ins Gesicht für die
angeblichen außergewöhnlichen Produktivitätszuwächse.
      7.. Mit Ausnahme der großen Depression in den dreißiger Jahren haben
wir es mit einem historischen Rekord an Bankrotten und
Firmenzusammenbrüche, sowie an nicht zurückgezahlten Bankkrediten zu
tun.
    Wenn wir die statistischen Manipulationen korrigieren, haben wir das
Gesamtpanorama eines Wirtschaftssystems, das tendenziell in den
parasitären Verfall übergeht und wo der Finanzsektor als System der
sozialen Ausplünderung funktioniert, das anstößige Luxuskonsumgüter
für die neue Gentry beschafft. Das Produktionssystem wird einzig und
allein dazu ausgebeutet, solche Konsumgüter und die Ausrüstung des
Finanzwesens zu produzieren, während alle anderen Sektoren sich mehr
oder weniger langsam auflösen.

    Letzte Neuigkeiten
    Nach dem Rekordwachstum der Börsenindizes seit 1995 zeichnet sich seit
der zweiten Jahreshälfte 1998 eine Veränderung ab. Die breiteren
Indizes wie der traditionelle Standard & Poor's 500 und der Wilshire
5000 (92 Prozent des Marktes) haben ihr Wachstum deutlich verlangsamt,
das gleichzeitig volatiler geworden ist. Ein wachsendes Geldvolumen
hat sich auf den Nasdaq verlagert. Dieser stellt das spekulativere
Segment des Marktes dar, er vereinigt alle Internetfirmen und all
jene, die lediglich versprechen, in Zukunft irgendetwas technologisch
Augenfälliges herzustellen (wie z.B. der gesamte Biotech-Bereich).
Diese Firmen haben wenig Startkapital und mikroskopisch kleine
tatsächliche Einkünfte, was so weit geht, daß das P/E-Verhältnis der
an der Nasdaq notierten Firmen zu Beginn des Jahres auf den science
fiction-mäßigen Wert von 115 gestiegen ist (dreimal so hoch wie der
selbst schon sehr hohe P/E-Wert der S&P-Werte). Alle anderen
Indikatoren des Wall Street-Markts haben eine negative Wendung
genommen: das Verhältnis zwischen der Anzahl der Aktien, die an einem
Tag steigen, zu denen, die am selben Tag sinken, ist zurückgegangen;
die Anzahl der Aktien, die das durchschnittliche Wachstum der Märkte
zu eigenen Preissteigerungen ausnutzen können, ist gesunken; somit hat
sich ebenfalls das Verhältnis zwischen neuen historischen
Höchstständen und historischen Tiefstständen verschlechtert. Zur
selben Zeit bedeutete die Verlagerung von Fonds auf Nasdaq-Titel eine
starke Ausweitung der Kreditierung [die Leute verschulden sich, um
Aktien zu kaufen; d. Übers.], was zu einem wesentlich höheren, sich
progressiv akkumulierenden, allgemeinen Risiko führt. In letzter Zeit
hat die spekulative Kreditausweitung selbst begonnen, ihre Form zu
ändern, da sie nunmehr gezwungen zu sein scheint, mit kürzeren
Rückzahlungsfristen und mit steigenden Zinssätzen zu arbeiten, da
nunmehr die lange Zeit gegebene Möglichkeit erschöpft zu sein scheint,
sinkende Zinssätze auszunutzen.

    Theoretisch können wir die Möglichkeit, daß es demnächst zu einem
Crash kommt, daran erkennen, daß sich eine Differenz zwischen dem
Wachstum des spekulativen Kredits und den Gewinnen an der Börse
entwickelt. Denn diese Differenz zeigt an, daß zukünftig die Einkommen
aus dem Verkauf der Titel nicht ausreichen werden, um die
aufgenommenen Kredite zu begleichen. Da sie aber eine Funktion des neu
auf den Markt kommenden Nettogeldvolumens sind, hängen die Gewinne an
der Börse ihrerseits von der Ausweitung des Kredits ab. Somit kommen
wir zur offenkundigen Schlußfolgerung, daß die Ausweitung des Kredits
im Moment t von der Ausweitung des Kredits im Moment t-1 abhängt. Aber
die Ausweitung des Kredits selbst hängt davon ab, wieviel
Nichtkredit-Geld ins Banksystem kommt, und das ist weitgehend ein
Ergebnis nicht des Finanz-, sondern des Produktionssektors. Die
allgemeine theoretische Schlußfolgerung, die wir auf die gegenwärtige
Dynamik anwenden können, ist, daß das ungestörte Wachstum des
Börsenumsatzes in letzter Instanz von der Masse der tatsächlichen
Profite abhängt, die im Nicht-Finanzsektor realisiert werden, und die
natürlich nicht exponentiell wachsen können, so wie es die
gegenwärtige Dynamik an den Finanzmärkten erforderlich machen würde -
in Wirklichkeit fallen sie in den USA zur Zeit sogar leicht. Wirklich
zum Lachen sind die Besserwisser, die das immense aufgehäufte Risiko,
das einer Wasserstoffbombe mit Zeitzünder gleicht, kleinreden wollen
und emsig erklären, daß der Umfang der Verschuldung irrelevant sei,
weil er vom Nominalwert der Aktien im Besitz der Schuldner gedeckt
sei. Sobald die institutionellen oder die privaten Spekulanten vor der
Notwendigkeit stehen, den Wert ihrer Aktien in klingende Münze zu
verwandeln, weil sie ihre Kredite zurückzahlen müssen, würden die
Abflußkanäle von der Börse verstopfen. Dies würde zu einer plötzlichen
und heftigen Verringerung des Nominalwerts der Aktien führen, während
das Volumen der zurückzuzahlenden Kredite natürlich unverändert
bleibt, eine tödliche Differenz, die einen beträchtlichen Teil des
intern bei den Banken angehäuften Kreditgeldes verschlucken würde,
genauso wie es 1930 nach dem Crash im Jahr zuvor geschah.

    nest

    antonio


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