[OPE-L] coming elections in venezuela (german)

From: Dogan Goecmen (Dogangoecmen@AOL.COM)
Date: Wed Nov 15 2006 - 11:14:18 EST


 
 
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(http://www.jungewelt.de/2006/11-15/022.php#top) 
Showdown in Caracas
Venezuela vor den Wahlen: Bilanz der Regierung Chávez ist beachtlich.  
Oppositionskräfte mobilisieren gegen die bolivarische Revolution
Von Harald Neuber und Ingo Niebel
 
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Mitte  August gab es einen bemerkenswerten Moment in der Geschichte der 
Opposition  gegen Präsident Hugo Chávez in Venezuela. Im Nadelstreifenanzug und mit 
dem für  ihn typischen Strohhut bewarb sich der Komiker Benjamin Rausseo für 
die  Präsidentschaftswahl in dem südamerikanischen Land am 3. Dezember. Von 
Eseln und  Ziegen begleitet, verkündete der 45jährige Gegner des amtierenden 
Präsidenten,  alle Voraussetzungen für die Registrierung erfüllt zu haben. 
Rausseo nennt seine  Partei »Piedra« (»Stein«), sein Motto lautet – in Anlehnung an 
das Markenzeichen  von Präsident Chávez – »Strohhut schlägt Barett«. Der 
Komiker-Kandidat kann nach  letzten Umfragen immerhin mit sechs Prozent der Stimmen 
rechnen. Rausseo, ein  entschiedener Widersacher der linken Regierung, 
kündigte unterdessen allerdings  bereits an, seine Kandidatur zurückzuziehen, sollte 
sich der Sozialdemokrat  Manuél Rosales als aussichtsreichster Kandidat dem 
Amtsinhaber in den Prognosen  annähern.

Rausseo und Rosales sind die bekanntesten der 28 Kandidaten,  die Anfang 
Dezember gegen Hugo Chávez antreten. Keiner der 28 Politiker hat eine  reale 
Chance. Und 27 verstehen deutlich weniger Spaß als der Fernsehkomiker  Rausseo.  
Opposition ruft offen zur Gewalt auf
»Während Millionen Venezolaner aus  den Demonstrationen für den aufrichtigen 
Manuél Rosales Hoffnung schöpfen«,  schrieb der Oppositionelle Gustavo Coronel 
in der vergangenen Woche im  Onlineportal Petroleomworld.com, »greifen die 
Gorillas der roten Revolution die  Institutionen, die venezolanischen Gesetze 
und den Rechtsstaat an«. Coronel, der  von 1975 bis 1979 zur Führung des 
staatlichen Erdölkonzerns PdVSA gehörte, läßt  sein Pamphlet mit einem offenen Aufruf 
zur Gewalt ausklingen: »Das Blut der  Venezolaner wird an denen haften, die 
nicht beizeiten gehandelt haben, um eine  ebenso absehbare wie von den 
Putschisten provozierte Tragödie zu verhindern«.  Zur Erklärung für diejenigen, die 
mit dem Duktus venezolanischer  Oppositionsschriften nicht vertraut sind: Mit 
»Gorillas« und »Putschisten« ist  die amtierende Regierung gemeint; eine 
Regierung also, die seit Chávez'  Vereidigung am 2. Februar 1999 mehrfach in 
demokratischen Wahlen bestätigt  wurde. 

Die offiziellen Kandidaten beschränken sich derweil noch darauf,  den 
Wahlvorgang zu delegitimieren. Mitte September forderte Rausseo – der seine  Rolle 
nun doch ernster zu nehmen schien als zunächst angenommen – die Stimmen  nach 
der Präsidentenwahl manuell auszuzählen. Auf den Einsatz von digitalen  
Wahlmaschinen sollte verzichtet werden, denn diese seien nicht sicher. Rosales  
stellte die für ihn wenig schmeichelhaften Umfragewerte derweil als  »Erfindungen« 
und »Manipulationen der Regierung« dar. Das  Meinungsforschungsinstitut 
Datanálisis hatte Chávez zuletzt 58,2 Prozent  prognostiziert, gegenüber 55 Prozent 
in Juni. Das Institut Seijas sah Rosales,  den derzeitigen Gouverneur des 
Bundesstaates Zulia, derweil bei »nicht einmal 20  Prozent«. Beide Institute, 
Datanálisis und Seijas, gehören von jeher dem  Chávez-kritischen Lager an. 
Zumindest aber sind sie realistischer als Rosales,  der über seine Umfragewerte sagt, 
sie seien »gut und werden jeden Tag  besser«.

Unterstützt wird der verzweifelte wie dreiste Versuch,  demokratische 
Prozesse in Abrede zu stellen, weil man selbst keine Mehrheit hat,  auch in Europa. 
Daß die Wahl in Venezuela »frei und geheim wird, ist zwar nicht  mehr 
gewährleistet, aber ein freihändiger Sieg Chávez' ist es auch nicht mehr«,  
kommentierte im August die Frankfurter Allgemeine Zeitung.  
USA und Vasallen gegen Chávez
Wohin ein solcher Bruch mit den  parlamentarisch-demokratischen Prinzipien 
führt, liegt in Anbetracht der  jüngeren venezolanischen Geschichte nahe. Im 
April 2002 kam es schließlich schon  einmal zum Putschversuch gegen die 
demokratisch gewählte Regierung. Und auch in  den Wochen vor der Wahl appelliert der 
Gouverneur und Kandidat Rosales nun  wieder an das Militär, sich auf seine Seite 
zu stellen. Solche Aufrufe lassen  befürchten, daß Verzweiflungstaten der 
Verlierer in Venezuela auch künftig nicht  auszuschließen sind. Anzeichen dafür 
liegen der Regierung Chávez offenbar vor.  Anfang November machte der 
Staatschef vor Erdölarbeitern in Puerto La Cruz im  Süden des Landes mutmaßliche 
Eskalationspläne der Opposition publik. Ein »Plan  CH« sehe unter anderem vor, die 
Erdöllieferungen in die USA abrupt zu  sabotieren, um eine – womöglich 
militärische – Reaktion Washingtons zu  provozieren. Immerhin haben ranghohe 
US-Vertreter schon ein entsprechendes  Vorgehen für diesen Fall angekündigt. Auch wegen 
dieser Gefahr werden in  zweieinhalb Wochen 120000 Militärs zum Schutz der 
Wahlen, der Wirtschaft und der  Demokratie mobilisiert werden. Die Maßnahme 
steht im Einklang mit der Verfassung  und wird mit dem Nationalen Wahlrat (CNE) 
koordiniert. 

Weil in Venezuela  für die ihnen nahestehenden Kandidaten kein Blumentopf 
mehr zu gewinnen ist –  geschweige denn eine Präsidentenwahl – setzen die USA 
inzwischen offen auf  Konfrontation. In der zweiten Augusthälfte erst flogen in 
Venezuela vier  US-Spione auf. Sie wurden am selben Tag an die US-Behörden 
übergeben, an dem  Washington einen Sonderbeauftragten für die 
Geheimdiensteinsätze »gegen Kuba und  Venezuela« benannte. Der CIA-Veteran Jack Patrick Maher 
ist als sogenannter  Missionsmanager künftig für die Umsetzung von 
Geheimdienststrategien und die  Auswertung von Informationen zuständig, erklärte 
US-Geheimdienstdirektor John  Negroponte damals gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, 
die feststellte: »Mit  diesem Schritt werden Kuba und Venezuela de facto mit 
Nordkorea und Iran  gleichgesetzt.« Bislang seien diese beiden Staaten die 
einzigen mit einem eigens  zuständigen Sonderbeauftragten des US-Geheimdienstes 
gewesen. Präsident Chávez  begegnete der zweifelhaften Ehrung mit Humor und nannte 
Maher fortan nur »Jack  the Ripper«.

Doch begegnet Caracas der zunehmend aggressiven Politik der  USA durchaus 
auch mit Vorsicht und dem nötigen Ernst. Ende September erst  protestierte die 
Regierung vehement gegen einen Bericht Washingtons, der  Venezuela mangelnde 
Kooperation im Kampf gegen den Drogenhandel und den Bruch  entsprechender 
internationaler Verträge vorwarf. Caracas' diplomatische  Vertretung in Washington 
wies auf die »Politisierung« des Themas durch die  US-Regierung hin und wehrte 
sich: Die Grenzbehörden des südamerikanischen Landes  hätten von Januar bis 
September fast 40 Tonnen Drogen beschlagnahmt und 510  Personen festgenommen. Die 
US-Regierung sei mit solchen Angriffen offenbar mehr  darum bemüht, Venezuela 
zu diskreditieren, als den Drogenhandel zu  bekämpfen.

Die US-Regierung steht in ihrem Vorgehen gegen die  bolivarische Revolution 
nicht allein. Aus Lima führt der jüngst gewählte  Präsident Perus, Alán García, 
eine verdeckte Kampagne gegen Hugo Chávez. Wenige  Wochen vor den Wahlen gab 
der US-nahe neoliberale Politiker – der im eigenen  Wahlkampf mit einer 
aggressiven Rhetorik gegen die venezolanische »Einmischung«  in Peru 
nationalistische Ressentiments geschürt hatte – der konservativen  venezolanischen 
Tageszeitung El Universal nun ein Interview, in dem er sich als  regionalen Gegenpol zu 
Chávez inszenierte. Chávez sei ein Autokrat mit einem  »ungebührlichen« und 
»herrischen« Verhalten, so der Politiker, dessen Urteil  über den 
Staatspräsidenten wie eine Drohung klingt: »In der heutigen Zeit, in  der Menschenrechte 
keine Grenzen mehr kennen, kann sich niemand so einfach eines  Landes 
bemächtigen.« Garcías vorläufig noch verbale Intervention in die  venezolanische 
Innenpolitik wurde von der Forderung aus der »Europäischen  Volkspartei« im 
Europaparlament begleitet, Wahlbeobachter nach Venezuela zu  entsenden. Der spanische 
Christdemokrat Jaime Mayor Oreja hatte sich wenige Tage  zuvor in Caracas mit 
der rechtsextremen Partei »Primero Justicia« (PJ)  getroffen. Die PJ, die 
Kontakte zur CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung  unterhält, war unmittelbar an dem 
blutigen Putschversuch gegen Chávez im April  2002 beteiligt.  
Sozialpolitik sichert Chávez Basis
Mit solchen Versuchen verkennen die Gegner Venezuelas in der  Region, in 
Europa und in den USA, daß Chávez seit Amtsantritt 1999 einen Putsch  und eine als 
»Ölstreik« getarnte Sabotage der Petroindustrie überstanden hat.  Der 
Staatschef und seine Partei »Bewegung Fünfte Republik« (MVR) sind aus einem  
Abwahlreferendum sowie aus elf verschiedenen Wahlgängen und Abstimmungen als  Sieger 
hervorgegangen. Vor sieben Jahren wurde er von 3,8 Millionen Menschen zum  
Präsidenten gewählt, was 60 Prozent der gültigen Stimmen entsprach. Beim  
Abwahlreferendum 2004 votierten über 5,8 Millionen Venezolaner – 58 Prozent der  
abgegebenen Stimmen – für seinen Verbleib im Amt. »Wenn wir davon ausgehen, daß  
die Gegenseite wie 2004 rund vier Millionen Anhänger mobilisiert, dann müssen  
wir sieben oder acht Millionen Stimmen holen, um unsere Stärke zu beweisen und  
um ihrem Plan entgegenzuwirken, unseren Wahlsieg zu delegitimieren«, erklärte 
 Chávez am 10.September im Interview mit der venezolanischen Tageszeitung  
Panorama (_www.aporrea.org/actualidad/n83403.html_ 
(http://www.aporrea.org/actualidad/n83403.html) ). Die MVR hat den  Slogan »Zehn Millionen für Chávez« 
ausgegeben.

Daß es dem Chávez-Lager  gelungen ist, die Zahl seiner Wähler seit 
Amtsantritt im Februar 1999 fast zu  verdoppeln, hat mehrere Gründe. Das Sozialprogramm 
»Misión Identidad« etwa zielt  seit Beginn 2004 darauf ab, allen 
Venezolanerinnen und Venezolanern einen  Personalausweis auszustellen, um sie in das 
Wahlregister aufnehmen zu können.  Bis dahin waren die Bewohner der Barrios, der 
Armenviertel, oft nicht gemeldet  und vom demokratischen Prozeß ausgeschlossen. 
Da aber gerade sie den Präsidenten  stützen – und auch verteidigen, wie die 
landesweiten Massendemonstrationen  während des Putschversuches gezeigt haben –, 
mußte Chávez einen Weg finden,  dieses Wählerpotential zu erschließen. Dabei 
ist die »Misión Identidad« nur  eines von mittlerweile 15 sozialen und politi
schen Programmen, die es dem  marginalisierten Bevölkerungsteil ermöglichen, an 
der Transformation des Landes  teilzuhaben und ihre eigene Situation zu 
verbessern.

Die Kritiker ficht  das nicht an. Schenkt man der Opposition Glauben, hat 
Chávez das in die  Sozialprogramme investierte Geld – von 2003 bis 2006 allein 
knapp 13 Milliarden  US-Dollar – vergeudet. Sowohl die wirtschaftliche 
Entwicklung wie auch die  ersten Erfolge der Misiones zeugen vom Gegenteil.

Nachdem das Militär in  den Bau von Brücken, Straßen und Schulgebäuden 
eingebunden wurde, begann 2004  die »Misión Barrio Adentro« (»Hinein ins 
Armenviertel«). Unter diesem Motto  gewährleisten vorwiegend kubanische Ärzte und Pfleger 
den Armen eine kostenlose  Krankenversorgung. Das Programm begann mit dem 
Aufbau einfacher  Krankenstationen. Seit 2005 entstehen die ersten 
Volkskrankenhäuser, in denen  auch stationäre Behandlungen in der Nähe des Wohnortes 
durchgeführt werden  können. Parallel dazu sicherte die »Misión Mercal« die 
Versorgung der armen  Bevölkerung mit subventionierten Grundnahrungsmitteln und 
Medikamenten. Die  »Misión Habitat« hat sich zum Ziel gesetzt, die oft baufälligen 
Hütten in den  Armenvierteln durch festere Häuser zu ersetzen.

Eine breitangelegte  Alphabetisierungskampagne führte dazu, daß die UNESCO 
Venezuela 2005 die  Beseitigung des Analphabetismus attestierte. Der Erfolg ist 
vor allem auf die  »Misión Robinson« zurückzuführen, die auf der kubanischen 
Lehrmethode »Yo sí  puedo« (»Ich kann es doch«) basiert. Darüber hinaus sorgen 
schulische und  betriebliche Aus- und Fortbildungsprogramme dafür, daß aus 
armen, ungelernten  Tagelöhnern ausgebildete Industriearbeiter werden. Diese 
Bildungsprogramme sind  für Venezuela die Voraussetzung, um das Land aus der 
Abhängigkeit von der  Ölindustrie zu befreien und alternative Industrie- und 
Wirtschaftszweige  aufbauen zu können. Dazu zählen bereits heute Tausende 
Kooperativen, die von der  praktischen Umsetzung der Sozialprogramme, zum Beispiel den 
Baumaßnahmen, leben. 
Weniger Armut, mehr Wachstum
So hat es die bolivarische Revolution  bereits nach wenigen Jahren geschafft, 
die Armut zu senken: Der Anteil der Armen  ist nach Regierungsangaben von 42 
Prozent im Jahr 2005 auf 33 Prozent 2006  zurückgegangen. Die positiven 
Auswirkungen der Sozialprogramme wurden bei diesen  Berechnungen noch nicht 
berücksichtigt. Zur Verbesserung der sozialen Lage trug  zum einen der Mindestlohn 
bei, der bei sinkender Inflation von 212 US-Dollar im  Jahr 2000 auf derzeit 238 
US-Dollar stieg. Im selben Zeitraum fiel die  Arbeitslosenquote von 17 auf 9,7 
Prozent.

Das Geld für die  Sozialprogramme stammt hauptsächlich aus dem Erdölgeschäft. 
Allein 2004  finanzierte die staatliche Erdölgesellschaft PdVSA die 
sozialpolitischen  Vorhaben der Regierung mit 2,31 Milliarden US-Dollar und zahlte 
weitere zwei  Milliarden in einen staatlichen Fonds für die soziale und 
wirtschaftliche  Entwicklung. Der gestiegene Erdölpreis sorgte, wie Energie- und 
Erdölminister  Rafael Ramírez erklärte, für Mehreinnahmen in Höhe von zwölf 
Milliarden  US-Dollar. Der durchschnittliche Preis pro Barrel Erdöl stieg von 20 
US-Dollar  im Jahr 2000 auf gegenwärtig durchschnittlich 55 US-Dollar. PdVSA fördert 
selbst  2,7 Millionen Barrel pro Tag und noch einmal 500 000 Barrel in 
Anlagen, an  denen ausländische Firmen beteiligt sind. Hauptabnehmer des begehrten  
Energieträgers sind weiterhin die USA, die täglich 22 Millionen Barrel Erdöl  
benötigen und elf bis 15 Prozent des schwarzen Goldes aus dem nahen Venezuela  
importieren.

Die positive Entwicklung der venezolanischen Wirtschaft  bringt eine 
langfristige Stabilisierung des Landes mit sich. 2000 stieg das  Bruttoinlandsprodukt 
(BIP) nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission für die  Karibik und 
Lateinamerika (CEPAL) um 3,7 Prozent. In den Krisenjahren 2002 und  2003 war es unter 
dem Eindruck des Putsches und von Sabotageaktionen der  Opposition noch um 8,9 
Prozent, beziehungsweise 7,7 Prozent eingebrochen. Erst  2004 vollzog das BIP 
einen sagenhaften Sprung um 17 Prozent, 2005 folgte ein  Zuwachs von 9,3 
Prozent. Für das laufende Jahr wird ein Wachstum von 9,4 Prozent  prognostiziert. 
Wie die CEPAL feststellte, wäre Venezuela damit zum dritten Mal  in Folge das 
Land mit dem stärksten Wirtschaftswachstum in  Lateinamerika.

Das spiegelt sich auch in der Außenhandelsbilanz wider.  2005 standen den 
Importen in Höhe von 25 Milliarden US-Dollar Exporte im Wert  von 56 Milliarden 
US-Dollar gegenüber. Dieser Rekordwert machte Venezuela zur  Nummer drei der 
lateinamerikanischen Exportländer, gleich hinter Mexiko und  Brasilien. Zwar 
fließt in diese Exportquote nach wie vor maßgeblich das  Erdölgeschäft ein, doch 
kommen die Erlöse daraus heute der Binnenökonomie ganz  anders zugute als in 
der Vergangenheit: Im Unterschied etwa zu Mexiko, wo unter  dem Zwang des 
neoliberalen Freihandels und dem Druck der US-Konkurrenz die  inländische Industrie 
und Landwirtschaft zerfällt, setzt die venezolanische  Staatsführung die 
Erdöleinkünfte zumindest partiell dafür ein, eine neue  Binnenwirtschaft 
aufzubauen.

Während so die wirtschaftliche  Eigenständigkeit angestrebt wird, zielt auch 
der Umgang mit den Devisenreserven  von derzeit 35 Milliarden US-Dollar auf 
eine Emanzipierung von den USA ab. Im  Jahr 2005 transferierte Venezuela zwei 
Drittel seiner Auslandsguthaben aus den  USA nach Europa, wo die Gelder in Euro 
angelegt wurden. Zugleich wurden die  Auslandsschulden mit Tilgungen in Höhe 
von drei Milliarden US-Dollar um elf  Prozent auf 27 Milliarden US-Dollar 
gesenkt. Um die nationale und regionale  Souveränität zu steigern, will Präsident 
Chávez die »Bank des Südens« gründen.  In dieses multinationale Kreditinstitut 
sollen Devisenreserven fließen, mit  denen dann kontinentale Großprojekte wie 
die Gaspipeline von Venezuela nach  Argentinien finanziert werden könnten.

Ein Problem bleibt für Venezuela –  wie auch für die anderen 
lateinamerikanischen Staaten – der Wertverlust des  Geldes. Die Inflation wird Schätzungen des 
Nationalen Statistischen Instituts  zufolge Ende 2006 wohl bei 15 Prozent 
liegen. 2000 lag sie bei 13 Prozent, 2002  war sie sogar auf 34 Prozent 
angestiegen, um danach kontinuierlich bis auf 14  Prozent (2005) zu sinken. Um diese 
Entwicklung zu bremsen, hat die Regierung  beschlossen, ab Oktober die 
Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt auf 13 Prozent  zu senken. Außerdem lockert sie 
den bislang eingeschränkten Umtausch von  Bolívares in Euro. Zu Beginn des 
Krisenjahrs 2002 hatte Chávez noch angeordnet,  den Wechselkurs der venezolanischen 
Währung einzufrieren: für einen US-Dollar  bekam man 1 390 Bolívares. 2005 
erfolgte die vorläufig letzte Abwertung der  Landeswährung auf 2 150 Bolívares.

Die langsame Abkehr vom US-Dollar  könnte in absehbarer Zeit auch den Verkauf 
von Erdöl betreffen, wie die Pläne  zur Gründung einer neuen Erdölbörse 
zeigen. Zugleich fördert Caracas  ausländische Investitionen in Projekte jenseits 
der Petroindustrie. Die im  Spätsommer mit Iran unterzeichneten Abkommen in 
Höhe von zwei Milliarden  US-Dollar belegen das. Gemeinsam mit Teheran soll in 
Venezuela eine Zementfabrik  gebaut werden, gemeinsam will man auch an der 
Entwicklung eines venezolanischen  PKW arbeiten.  
Sozialismus als Ziel
Der Aufbau eines eigenen Marktes, die Abkehr von  den USA in Finanz- und 
Exportpolitik sowie die umfassenden Sozialprogramme  zielen auf eine 
grundsätzliche Neustrukturierung des venezolanischen Staates ab.  Wichtigstes Element dabei 
ist die konsequente Einbeziehung der einst  ausgegrenzten Schichten der 
venezolanischen Bevölkerung. Im achten Jahr der  Regierung Chávez sind die Armen 
heute Akteure der Transformation. Doch das ist  erst der Anfang: »Die arme 
Schicht hat ihre Lage zweifelsohne verbessern können,  aber die Oberschicht hat in 
einem weitaus höheren Maße profitiert«, stellt  Chávez im Interview mit 
Panorama selbstkritisch fest.

Mit einer  Verfassungsänderung soll der politischen Transformation zum 
Sozialismus daher  nach der Wahl weiterer Raum verschafft werden– ein Vorhaben, das 
wahrscheinlich  zu direkten Konflikten mit der Oligarchie führen wird. Die 
Debatte um eine  bolivarische Einheitspartei aus den Kräften des Regierungslagers 
ist ein erster  Schritt hin zur Positionierung in diesem Kampf. Diese 
Einheitspartei soll binnen  der nächsten zwei Jahre gegründet werden und auf dem 
Prinzip der direkten  Demokratie basieren.

Der Widerstand der regressiven Kräfte im In- und  Ausland gegen die 
politische Etablierung des Bolivarianismus und die  wirtschaftliche Emanzipierung des 
Landes ist programmiert. Bis dato sind die  zahlreichen Reformen zwar zugunsten 
der Armen, aber nicht zu Lasten der Reichen  gegangen. Weil das nicht ewig so 
sein wird, nähert sich die bolivarische  Revolution ihrer nächsten großen 
Belastungsprobe. Dabei wird sich zeigen, ob sie  stark genug ist, die Angriffe 
abzuwehren. Und es wird sich zeigen, wer ihre  wirklichen Gegner sind. In 
Venezuela und im  Ausland.


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