From: Dogan Goecmen (Dogangoecmen@AOL.COM)
Date: Fri Dec 29 2006 - 10:37:29 EST
Another short paper of mine on the relationship of the concept of justice and socialism. Cheers, Dogan Der Begriff der Gerechtigkeit und der Kampf um Sozialismus Doğan Göçmen In den letzten Wochen und Monaten überhäuft sich in der linken und sozialistischen Presse die Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Zuletzt haben nun Nina Hager und Robert Steigerwald sich auch diesem Chor der „ sentimentalen Gefühle von Humanität, Gerechtigkeit oder gar Barmherzigkeit“ angeschlossen. (MEW 19, 247) Hager fordert die Kommunist/inn/en auf, sich die Begriffe der Freiheit und Gerechtigkeit, die in den Händen der CDU demagogisch zur Durchsetzung der Interessen des Kapitals missbraucht werde, zurückzuholen. (UZ, 6.10.2006) Und in einem gemeinsamen Artikel, in dem das Wesen der dialektisch-materialistischen Geschichtsauffassung zur Bildungsthema empfohlen wird, erklären Hager und Steigerwald, dass Marx, Engels, Lenin und andere „die bestehenden ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse verändern wollten“ – haben also Marx, Engels und Lenin für eine gerechte Gesellschaft gekämpft. (UZ, 10. 11. 2006) Solche Forderungen und Feststellungen mögen aus der Sicht jener eine Bedeutung für die gegenwärtigen soziale und politische Kämpfe haben, die aus den geschichtlichen Erfahrungen bewusst falsche Schlüsse ziehen und deshalb an die Begriffe der vormarxschen Periode der sozialen und politischen Kämpfe anschließen müssen. Aus der Sicht der Marxist/inn/en, die ihre Blicke immer nach vorne richten, führt eine Wende zu solchen überholten Begriffen wie Gleichheit und Gerechtigkeit zu Illusionen und der politischen Romantik, aber nicht zu einer auf die Errichtung des Sozialismus orientierenden politischen Handlung. Haben Marx und Engels für Gerechtigkeit gekämpft? Hager fordert uns Kommunist/inne/en auf: „Es ist höchste Zeit, dass wir uns den Freiheitsbegriff zurückholen – und den Gerechtigkeitsbegriff und andere Begriffe progressiver sozialer Bewegungen in der Vergangen sowie Arbeiterbewegung!“ (UZ, 6.10.2006) Diese Begriffe gehören in der Tat zu den Begriffen progressiver sozialer Bewegungen und der Arbeiterbewegung in der Vergangenheit, aber eben in der Vergangenheit. Nach der Verwissenschaftlichung des Sozialismus durch Marx und Engels können diese Begriffe für den gegenwärtigen Kampf um Sozialismus gar keinen progressiven Gehalt mehr haben. Marx und Engels waren, wie man es von einem/einer Kommunist/in erwartet, keine reinen Theoretiker. Sie waren auch Politiker und als solche waren sie vor allem auch Strategen und Taktiker. Sie haben den Bewusstseinsstand der Arbeiterbewegung und der sozialistischen Organisationen sehr ernst genommen. Deshalb sahen sie sich gezwungen in den von ihnen verfassten Dokumenten, die einen Kompromisscharakter hatten, solche Begriffe aufzunehmen. Vor allem hat Engels in seinen diversen kurzen Beiträgen scheinbare Zugeständnisse gemacht. So hat Marx in der Formierungsphase der europaweiten Arbeiterbewegung in 19. Jahrhundert diese Begriffe in die von ihm verfassten Dokumente aufgenommen. Er war aber dabei immer von der Sorge getragen, dass sie mehr Schaden errichten können als Nutzen bringen. So war er verpflichtet, den Gerechtigkeitsbegriff (und andere moralisierende Begriffe) in die „Provisorische Statuten der Internationalen Arbeiter- Assoziation“ aufzunehmen. (MEW 16, 15) In einem Brief an Engels vom 4. November 1864 erklärte er aber, er habe diese Begriffe jedoch „so placiert“, dass sie „einen Schaden nicht tun“ können. (MEW 31, 15) Aber in ihren einschlägigen wissenschaftlichen Arbeiten und Dokumenten, die die theoretische Grundlage der kommunistischen Bewegung bildeten, waren sie kompromisslos und haben jene Teile der sozialistischen Bewegung scharf kritisiert, die sich auf solche Begriffe wie bspw. Gerechtigkeit stützten. Deshalb sprechen sie in der Geburtsurkunde des Kommunismus, dem kommunistischen Manifest, nicht von Gleichheit und Gerechtigkeit, sondern von dem Ziel der Errichtung einer Gesellschaft, in der die Befriedigung der Bedürfnisse eines/einer Jeden zur Bedürfnis aller wird. Engels hat deshalb mit Nachdruck hervorgehoben, dass diese moralisierenden Begriffe in die Phase des utopischen Sozialismus gehören. (MEW 20, 18-19) Gegen den Proudhonisten hat er hervorgehoben, dass der wesentliche Unterschied zwischen dem wissenschaftlichen Sozialismus und Proudhonismus in dem folgenden Vorgehen besteht: Der wissenschaftliche Sozialismus widmet sich, weil er dialektisch-materialistisch fundiert ist, der Untersuchung der „ökonomischen Verhältnisse, wie sie sind und wie sie sich entwickeln“, und gewinnt daraus den Beweis, „daß diese ihre Entwicklung zugleich die Entwicklung der Elemente einer sozialen Revolution ist“. Der Proudhonismus „ dagegen stellt an die heutige Gesellschaft die Forderung, sich nicht nach den Gesetzen ihrer eigenen ökonomischen Entwicklung, sondern nach den Vorschriften der Gerechtigkeit (...) umzugestalten.“ (MEW 18, 273) Was machen Hager und Steigerwald? Sie setzen den Sozialismus mit einer sogenannten solidarischen und gerechten Gesellschaft gleich. Dabei sind diese Begriffe vom Wesen her verschieden und können keine Grundlage einer solidarischen und schon gar nicht einer sozialistischen Gesellschaft sein. Warum? Die Losung der Gerechtigkeit und der sozialistische Kampf Die Begriffe wie Gleichheit und Gerechtigkeit können keine Handlungsgrundlage für den Kampf um Sozialismus sein – auch dann nicht, wenn man sie materialistisch zu definieren sucht. An die Stelle des formalen Gleichheitsbegriffs des Bürgertums setzt Hager die materielle Gleichheit und fordert die Verteilung der materiellen Güter nach dem Gleichheitsprinzip. Marx und Engels gehören zu jener Generation, die den formalen Charakter dieser Begriffe am besten entlarvt haben. Sie haben aber daraus nicht die Schlussfolgerung gezogen, man müsse sie materialistisch umdefinieren und zur Grundlage sozialistischen Politik machen. Engels sagt: „Wenige Generationen gesellschaftliche Entwicklung unter kommunistischem Regime und unter den vermehrten Hülfsmittel müssen die Menschen dahin bringen, daß dies Pochen auf Gleichheit und Recht [d.h. Gerechtigkeit] ebenso lächerlich erscheint wie heute Pochen auf Adels- etc. Geburtsvorrechte...“ (MEW 20 581) Die vermehrten Hilfsmittel stehen heute bereits zur Verfügung. Die Antwort auf die Frage, warum der Begriff der Gleichheit nicht die Grundlage des sozialistischen Kampfes abgeben kann, ist bereits in der Losung aus dem kommunistischen Manifest gegeben. Dort heißt es die Befriedung der Bedürfnisse eines/einer Jeden müsse das Bedürfnis aller sein. Marx und Engels legen dem kommunistischen Manifest nicht das Prinzip der Gleichheit, sondern das Prinzip der Differenz zur Grunde. Denn jedes Individuum ist nicht nur ein gesellschaftliches Individuum, sondern auch ein besonderes Individuum mit besonderen Lebensvorstellungen und Bedürfnissen. Der Kommunismus will gerade durch die Beseitigung der formalen bzw. abstrakten Gleichmacherei des Bürgertums die Besonderheit der Individuen zur Geltung bringen. In ihrem Artikel beruft sich Hager auf den großen Philosophen Fichte. Aber um zu erkennen, warum Marx und Engels sich nicht auf den Begriff der Gleichheit berufen, muss man – so schwierig und abstrakt es klingen mag - eben die philosophische Weiterentwicklung über Hegel zu Marx zur Kenntnis nehmen. Im Gegensatz zu Fichte, dessen Philosophie individualistisch ist, beweist Hegel, dass es ohne „Wir“ kein „Ich“ und "Du" geben kann. Nach Hegel muss man also „unser“ sagen bevor man „mein“ oder "dein" sagen kann. Dies verdeutlicht auch warum der Begriff der Gerechtigkeit keine Grundlage für den sozialistischen Kampf sein kann – so materialistisch man sie auch definieren mag. Denn der Begriff der Gerechtigkeit geht grundsätzlich von der Trennung zwischen dem "Meinen" und "Deinen", d. h. vom Privateigentum aus. Er rechtfertigt das Privateigentum wie es bereits mindestens seit dem 18. Jahrhundert bekannt ist. Der Sozialismus will aber gerade das Gemeineigentum auf entwickelter Stufenleiter der Gesellschaft wiederherstellen. Deshalb wenn man im Namen des sozialistischen Kampfes auf diese überholten Begriffe der Vergangenheit zurückgreift, annulliert man die ganze Entwicklung des Sozialismus seit Marx und Engels.
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