From: Doğan Göçmen (dogangoecmen@aol.com)
Date: Mon Jul 21 2008 - 17:41:04 EDT
Das „Manifest der kommunistischen Partei“ Über die historische Bedeutung der Geburtsurkunde des wissenschaftlichen Sozialismus nach 160 Jahren[1] Dr.Doğan Göçmen, Philosoph, Hamburg I. Einleitung a) Am meisten verbreiteter politischer Text Das Kommunistische Manifest ist am meisten verbreiteter und gelesener Text der politischen Literatur auf der Welt. Es gibt kaum noch einen zweiten politischen Text, der so verbreitet gelesen wird. Es ist heute in fast alle Sprachen übersetzt und auf allen Kontinenten zugänglich. b) Neben der Bibel und dem Koran am meisten verbreiteter und gelesener Text Allgemein als Text können mit der Verbreitung des Kommunistischen Manifests nur noch die Bibel und der Koran mithalten. Die Verbreitung dieser theologischen Bücher wird von vielen Staaten, Kirchen und staatlichen Institutionen und Parteien weltweit gefördert. Das Kommunistische Manifest hingegen wird heute nur noch von wenigen Staaten gefördert. Deshalb ist es bezeichnend, dass die Verbreitung des Kommunistischen Manifests, die es fast nur aus eigener Kraft schafft, annähernd bzw. genau so groß ist wie die Bibel und der Koran. c) Vor zehn Jahren – Ein Rückblick Als 1998 das 150. Jahr der Publikation des Manifest der kommunistischen Partei, auch in Kurzform einfach „Kommunistisches Manifest“ oder das „Manifest“ genannt, weltweit gefeiert wurde, meldete sich die ganze Welt zu Wort: Sowohl jene, die sich als Weggefährten Marx und Engels verstehen als auch jene, die sich offen oder versteckt als Gegner definieren, schließlich auch jene, die zwar nicht lassen können, mit der Marxschen Lehre zu kokettieren, aber auch nicht bereit sind, sich auf sie einlassen; sie haben alle, jeder von seiner Warte, zu Protokoll gegeben, welch eine große, gar welthistorische Bedeutung und Wirkung das Manifest hat. Selbst die Erzfeinde des Marxismus konnten nicht ernsthaft behaupten, auch wenn sie dies gerne täten, dieses ursprünglich nur 23 Druckseiten ausfüllende Dokument habe historisch keine Bedeutung. Mit dieser Einheit und Eintracht war allerdings schnell vorbei, als es um die Beantwortung der Frage ging, ob das Kommunistische Manifest noch von aktueller Bedeutung sei. Viele in den bürgerlichen Medien, selbst in der Tages- und Wochenpresse, ob in der FAZ oder Die Zeit, wollten das Kommunistische Manifest wieder schnell ad acta legen und die historische Erinnerung, die ohnehin zähneknirschend zugestanden werden musst e, wieder schnell vergessen machen. Wenn man dem Kommunistische Manifest überhaupt eine aktuelle Bedeutung zugestehen wollte, dann war dies eine Negative. Man müsse aus dem Kommunistischen Manifest lernen, dass es keinen Sinn mache, revolutionäre Programme zu schmieden und auf deren Grundlage revolutionäre Parteien zu gründen, oder sich auf ein erfundenes Konstrukt wie Proletariat zu berufen, das ohnehin nicht existiere. Ähnliche Behauptungen hören wir heute leider auch aus unseren eignen, also linken Reihen, wenn ich hier den Ausdruck zunächst im umfassenden Sinn nehmen darf. Es werden also alle Grundgedanken, die Marx und Engels im Kommunistischen Manifest niedergeschrieben haben, sowohl von ihren Gegnern als von vielen Linken zur Disposition gestellt: Revolutionäres Programm, revolutionäre Partei als Avantgarde in der Vorbereitung und Durchführung der Revolution und das Proletariat als Subjekt der Revolution, das die werktätigen Massen um sich sammeln und in der Revolution auf ein Ziel hin mobilisieren und führen muss. Damit impliziert man, dass das Kommunistische Manifest lediglich ein historisches Dokument sei, das über unsere Gegenwart nichts zu sagen habe. Ich meine, dass dieser Behauptung von bürgerlichen Wissenschaftlern und Philosophen immer wieder neu formuliert wird, ist ganz und gar verständlich. Das ist ihr Beruf. Dass diese Behauptung aber auch in unseren Reihen Vertreter findet, hat sicherlich mit der Tatsache zu tun, dass wir die historische Bedeutung des Kommunistischen Manifests noch nicht richtig verstanden haben. d) Das Kommunistische Manifest ist aktueller denn je Der US amerikanische Ökonom Paul M. Sweezy, mit dem ich durchaus grundsätzliche politische Differenzen habe, sagte auf einer Podiumsdiskussion, die anlässlich des 150. Jahrestag der Publikation des Kommunistischen Manifests veranstaltet wurde und von der aktuellen Bedeutung des Manifests handelte: „Ich habe das Kommunistische Manifest wahrscheinlich mehr oder weniger ein dutzende Male gelesen. Ich hatte nie den Eindruck, als wäre es ein alter Hut. Es war immer wert, es noch einmal zu lesen.“[2] Schon Hermann Duncker, in dessen Tradition ich mich gerne stelle, hat, als er das Kommunistische Manifest für die neu gegründete KPD 1920 herausgab, die Frage aufgeworfen, ob das Kommunistische Manifest veraltet sei. Seine Antwort kam prompt und lautete: „Nein, keineswegs!“. Er hat diese Einschätzung bei späteren Anlässen immer wiederholt, so z. B. im Jahre 1948 bei den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag des Kommunistischen Manifests. Duncker kam etwa zehn Jahre später im Rahmen seiner Vorlesungen in den Jahren 1957 und 1958 vor Lehrern und Studenten der Parteihochschule der SED „Karl Marx“ auf dieselbe Frage zurück. An seine Antwort hatte sich nichts verändert. Das Kommunistische Manifest ist aktueller denn je:: Do„Ich kann euch nur sagen, jedes mal, wenn ich das ‚Manifest’ wieder d urchlese (...), finde ich einen neuen Gedanken darin. Da blitzen einem immer wieder neue Gedanken als Edelsteine entgegen, so daß man sagt Donnerwetter! Auch das steht schon im ‚Manifest’.“[3] Ich kann nur sagen, dass ich diese Einschätzungen von Sweezy und Duncker uneingeschränkt teile. Ich habe das Kommunistisch Manifest einige Male mit jungen Menschen zusammen gelesen. Es war für mich sehr beeindruckend zu beobachten, dass sie immer wieder sagten, dass das Kommunistische Manifest hoch aktuell ist. Dieselbe Überzeugung habe ich wieder gewonnen, als ich mich für die heutige Veranstaltung vorbereitete. Nun wird man fragen was an diesem kleinen Pamphlet so aktuell ist? Ich meine alles, was in dem Kommunistischen Manifest an Grundsätzlichem formuliert ist. Sicherlich sind die zeitgeschichtlichen Aspekte überholt. Das haben Marx und Engels selbst hervorgehoben. Aber die Grundgedanken, die sie in diesem Zusammenhang formulieren, sind heute noch von aktueller Bedeutung und wegweisend für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um richtige Positionen innerhalb der linken Bewegung. Dabei sind es nicht wir allein, die wir, die ‚unverbesserlichen’ Marxisten, die das behaupten. Nur 10 Jahre nach dem Mauerfall wird Marx im Jahre 1999 in einer BBC-Umfrage zum größten Denker der Menschheit genannt. Nach ihm kommen Albert Einstein und schließlich Isaac Newton und Charles Darwin. Warum wollen und können die Menschen, trotz aller Todesrhetorik und massiven Propaganda gegen Marx und Marxismus, auf Marx nicht verzichten? Was hat Marx wissenschaftlich und philosophisch an Einzigartigem geleistet? Marx muss also in der Geschichte der Menschheit etwas geleistet haben, worauf die Menschen, die seine Leistungen unvoreingenommen beurteilen, und das ist die sehr große Mehrheit der Menschheit, nicht verzichten wollen und deshalb ihn zum größten Denker der Menschheitsgeschichte erklären, obwohl seine Lehre kaum an Schulen und Universitäten gelehrt wird. Wenn man an Schulen und Universitäten über ihn überhaupt was hört, ist das meistens etwas Negatives. Die Rhetorik, Marx sei tot, ist fast genauso alt wie seine Lehre. In den 1990er Jahren gewann diese Rhetorik an Intensität. Nur zehn Jahre später schlägt nun das britische Wochenmagazin The Economist, also zwei Jahre nach dem das Ergebnis der BBC-Umfrage bekannt wurde, einen Rhetorikwechsel vor. Man solle, so die Implikation eines Aufsatzes mit dem Titel: „Marx after Communism“, den Marxismus als eine Religion und Glaubenssystem beschreiben. Denn er habe keine Wissenschaft begründet, sondern eine Religion. Er sei im Gegensatz zu seiner Behauptung kein Wissenschaftler. Der Kommunismus sei tot. Die Lehre von Marx lebe als Religion weiter und werde weiter leben.[4] Dabei ist diese Rhetorik, dass die Marxsche Lehre keine Wissenschaft, sondern eine Religion sei, gar nicht so neu. Schon die Frankfurter Zeitung behauptete im Jahre 1908, dass der Marxismus keine Wissenschaft,=2 0sondern eine Religion sei. „The Economist stellt nun nach der BBC-Umfrage fest, dass die alte Rhetorik vom ‚Tod des Marxismus’ nicht mehr greift und schlägt im Grunde genommen, dass man zu der alten Rhetorik der Frankfurter Zeitung von 1908 zurückkehren solle, von der Lenin berichtet.[5] Warum ist die Theorie Marxens unwissenschaftlich? Weil er die Kategorie der Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit in die Gesellschaftstheorie einführte; weil er die Bedeutung der Moral leugnete und die Relativität und Bedingtheit unserer Kenntnisse außer Acht ließ. Dadurch hat er eine ganz und gar unwissenschaftliche Utopie geschaffen und für seine Anhänger eine Kirche errichtet. Dabei sei das nicht Mal so schlimm. Die eigentlich schädlichste seiner Ideen ist die des Klassenkampfes. Das sei das eigentliche und alles Übel in der Marxschen Lehre.[6] Schon Karl Kautsky warf hingegen im Jahre 1901 die Frage auf, ob das Kommunistische Manifest aufgrund der verstrichenen Zeit obsolet geworden ist. Kautsky stellte damals, also als er noch Revolutionär war, fest, dass wenn selbst alles, was im Manifest gesagt wird, überholt sei, werde der Grundgedanke des Klassenkampfes solange aktuell bleiben, solange der Kapitalismus bestehe.[7] Das ist auch heute der Dreh- und Angelpunkt in der Diskussion über das Kommunistische Manifest. Es geht also um nicht weniger als die wissenschaftliche Begründung des Sozialismus. II. =C 2 Die Historische Bedeutung des Kommunistischen Manifests Aus der Sicht von Marx und Engels kann man, unabhängig davon, ob man sich subjektiv politisch rechts oder links ortet, an den Grundgedanken, die sie im Kommunistischen Manifest formuliert haben, erkennen, wer wo objektiv steht. Die Grundgedanken des Kommunistischen Manifests haben Marx und Engels in ihrem systematischen Zusammenhang im Unterschied zu früheren Sozialismusvorstellungen wissenschaftlich genannt. Damit haben sie die Theorie des Sozialismus revolutioniert. Sie haben damit bewiesen, dass Sozialismus kein frommer Wunsch, sondern notwendig und möglich ist. a) Was verstehen Marx und Engels unter wissenschaftlichem Sozialismus? Marx und Engels geben im Kommunistischen Manifest selbe genug Hinweise darauf, was sie unter wissenschaftlichem Sozialismus verstehen und formulieren dabei auch historische Voraussetzungen, die den wissenschaftlich begründeten Sozialismus überhaupt erst möglich gemacht haben. Was macht den wissenschaftlichen Sozialismus wissenschaftlich? Marx und Engels haben ihre Sozialismustheorie im Verhältnis und in Abgrenzung zu utopischen Theorien des Sozialismus wissenschaftlich genannt. Dabei steht vor allem der Entwicklungsstand der Klassen und Klassenkämpfe im Mittelpunkt, mit dem das Kommunistische Manifest bekanntermaßen anfängt: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte vo n Klassenkämpfen.“ (S. 10)[8] (Wie Sie wissen, hat Engels diesen Satz später relativiert und wollte sie auf die Klassengesellschaften angewandt wissen.) Weiter unten heißt es: „Die aus dem Untergang der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt.“ (S. 10) Nachdem Marx und Engels darauf hingewiesen haben, dass die Epoche der Bourgeoisie sich dadurch auszeichnet, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht, machen sie folgende Feststellung: . „Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat“ (10-11) Dann stellen sie in dem ganzen ersten Kapitel die verschiedenen Aspekte dieses Klassenkampfes dar. Wie die Bourgeoisie sich allmählich aus der feudalen Gesellschaft entwickelt, sie total zerstört und zur Macht gelangt. Nachdem die Bourgeoisie all die Wunderwerke vollbringt, wird die bürgerliche Gesellschaft zu einer Hemmnis für die ganze Gesellschaft. „Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. (15) Und diese Revolutionierung der Produktionsmittel, Produktionsverhältnisse und gesellschaftlichen Verhältnisse findet weltweit statt. In der Epoche der Bourgeoisie kann sich keine Gesellschaft, wie entlegen sie auch sein mag, dieser Entwicklung entziehen. Die Bourgeoisie stellt Marx und Engels zufolge im wahrsten Sinne des Wortes in der Geschichte der Menschheit zum ersten Mal eine Weltgesellschaft her. (16-17) Doch, sagen sie: „Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.“ (19-20) Nachdem also die Entwicklung der Produktionskräfte einen bestimmten Stand erreicht hat, geraten sie in einen Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen. Von nun an richten sich die Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus vernichtet hat, gegen Bourgeoisie selbst. Nun verstehen Marx und Engels unter utopischem Sozialismus vor allem die Systeme von Saint-Simon, Charles Fourier und Robert Owen. Deren Systeme sind in einer Zeit entstanden, in dem die Klassenverhältnisse noch unterentwickelt waren. Sie wissen zwar, dass sie bewusst für die unterdrückte Klassen, also das Proletariat eintreten, sie sehen aber in dem Proletariat noch kein revolutionäres Subjekt, das die bCrgerlichen Verhältnisse total revolutionieren kann. Deshalb tritt bei ihnen an die Stelle der gesellschaftlichen Tätigkeit, die persönliche erfinderische Tätigkeit, an die Stelle der gesellschaftlichen Bedingungen der Befreiung die phantastischen bzw. ideellen Bedingungen, an die Stelle der Organisation des Proletariats zur Klasse eine ideell entwickelte Organisation der Gesellschaft. „Die unterentwickelte Form des Klassenkampfes wie ihre eigene Lebenslage bringen es aber mit sich, daß sie weit über jenen Klassengegensatz erhaben zu sein glauben. Sie wollen die Lebenslage aller Gesellschaftsglieder, auch der bestgestellten, verbessern. Sie appellieren daher fortwährend an die ganze Gesellschaft ohne Unterschied, ja vorzugsweise an die Herrschende Klasse. Man braucht ihr System ja nur zu verstehen, um es als den bestmöglichen Plan der bestmöglichen Gesellschaf anzuerkennen.“ (68) Marx und Engels nennen also ihre Sozialismusvorstellung deshalb wissenschaftlich, weil sie im Unterschied zu den utopischen Sozialisten für die Verwirklichung des Sozialismus nicht mehr an die herrschende Klasse oder die ganze Gesellschaft appellieren, sie appellieren nicht an die Vernunft oder Moral, sondern weil sie ihre Sozialismusvorstellung auf den Klassenkampf gründen und diesen Kampf aus der Sicht der Arbeiterklasse analysieren. b) Organisationstheoretische und Sozialhistorische Voraussetzungen für die Formulierung des wissenschaftlichen Sozialismus Das Kommunistische Ma nifest wurde, wie Engels in seiner „Vorrede“ zur englischen Ausgabe von 1888 bemerkte, als „Plattform des Bundes der Kommunisten“ veröffentlicht. Die Geschichte des Bundes der Kommunisten zeigt wie er sich als eine internationale Organisation des Proletariats allmählich von den bürgerlichen Vorstellungen befreit und eine eigenständige Position der Arbeiterklasse entwickelt. Er hieß zuvor Bund der Gerechten und ging aus dem Bund der Geächteten hervor. Der Bund der Geächteten war 1834 in Paris von deutschen Flüchtlingen gegründet und bekannte sich den bürgerlich republikanischen Idealen. Der Bund der Gerechten hatte sich im Jahre 1836 vom Bund der Geächteten gespalten. Der führende Kopf des Bundes der Gerechten war Wilhelm Weitling, der sich zum kommunistischen Ideal bekannte. Marx und Engels sind dem Bund der Gerechten Anfang 1847 beigetreten. Schon im Juni 1847 wurde der Bund der Gerechten in Bund der Kommunisten umbenannt und seine Losung „Alle Menschen sind Brüder“ wurde durch die Losung „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ ersetzt. Diese organisationsgeschichtliche Entwicklung, die zugleich eine politikgeschichtliche Entwicklung ist, spielt vor dem Hintergrund einer größeren sozialgeschichtlichen Entwicklung in Europa ab. In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts findet die Fabrikindustrie große Verbreitung. Dies führt zur Formierung der Arbeiterklasse als Klasse. Es entstehen selbständige ökonomische und politische20Arbeiterorganisationen: Trade Unions und „Chartisten“ in Großbritannien, „Gesellschaft der Jahreszeiten“ in Frankreich. Massenaktionen der Chartisten und Owenisten in Großbritannien, Weberaufstände von 1831 und 1834 in Frankreich und der schlesische Weberaufstand vom Juni 1844 in Deutschland. Die europäische Revolution von 1848 hat zwar die Arbeiterklasse nicht an die Macht gebracht. Sie hat aber immerhin die Machtfrage zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat in den Mittelpunkt gestellt. Die Losung der Arbeiter in der 1848er Revolution lautete nicht einfach die Errichtung der Republik, sondern die Errichtung einer sozialen Republik. Dies drückte sich u. a. auch in der Symbolik aus. Welche Fahne symbolisierte z. B. die Revolution: die Trikolore oder die rote Fahne. Diese Entwicklungen bringen eine neue Form des Klassenkampfes zum Ausdruck, ein Klassenkampf zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat, der im Kommunistischen Manifest in dem Satz seinen Ausdruck findet: „Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier.“ (21) Diese Entwicklung vom Bund der Geächteten über den Bund der Gerechten zum Bund der Kommunisten drückt auch einen Gesinnungswandel aus. Hierbei geht es nicht nur darum, dass sich der Standpunkt des internationalen Proletariats allmählich vom Standpunkt der Bourgeoisie lostrennt, s ondern auch darum, dass sich innerhalb des Proletariats ein bestimmter Standpunkt durchsetzt. Dabei finde ich die Begründung dieses Gesinnungswandels sehr interessant und auch aus heutiger Sicht hoch aktuell, weil alle Parteien sich heute irgendwie als Partei der Gerechtigkeit verstehen. In einem Rundschreiben nach dem zweiten Kongress des Bundes der Kommunisten heißt es: „Wir ... zeichnen uns nicht dadurch aus, daß wir Gerechtigkeit überhaupt wollen, was jeder von sich behaupten kann, sondern dadurch, daß wir in die bestehende Gesellschaftsordnung und das Privateigentum angreifen, dadurch, daß wir die Gütergemeinschaft wollen, dadurch daß wir Kommunisten sind.“[9] Hier ist der Hinweis auf das Konzept der Gerechtigkeit von großer Bedeutung. Denn indem der Bund der Kommunisten sich nicht mehr auf solche moralisierenden Konzepte wie Gerechtigkeit gründet, sondern auf den Klassenkampf, die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Errichtung der Gütergemeinschaft, überwindet er in der Geschichte der Arbeiterbewegung und sozialistischen Organisationen zum ersten Mal die moralisierenden und theologisch motivierten Sozialismusvorstellungen. Von diesem Moment an ist er eine Organisation des wissenschaftlichen Sozialismus, der aus der Sicht von Marx und Engels nur vom Standpunkt der Arbeiterklasse formuliert werden kann. Für die Revolutionierung und damit wissenschaftliche Begründung des Sozialismus gibt es auch philosophische Voraussetzungen , die Hans Heinz Holz in einem Beitrag in dem Band Kommunistisches Manifest Passe?! – Marxismus im 21. Jahrhundert ausführlich dargestellt hat[10]. Ich werde hier nur kurz darauf eingehen können. c) Philosophische Voraussetzungen für die Formulierung des wissenschaftlichen Sozialismus Die wissenschaftlich-philosophische Revolution, die der Sozialismusvorstellung im Kommunistischen Manifest zu Grunde liegt, wurde von Engels Darwins Revolutionierung der Naturwissenschaften gleich gestellt. Und es scheint mir nicht zufällig zu sein, dass seitdem der Marxismus nach dem Zusammenbruch des reell existierenden Sozialismus weltweit an Ansehen verloren hat, Darwins Evolutionstheorie gleichermaßen unter Beschuss geraten ist. Darin sind sich Bush und Ratzinger, der Häuptling im Vatikan, einig: Die Evolutionstheorie von Darwin muss bekämpft werden. Bekanntlich tritt der Marxismus das Erbe der klassischen deutschen Philosophie an. Im Kommunistischen Manifest gibt es nur einige indirekte Hinweise darauf, vor allem da, wo Marx und Engels den wahren Sozialismus diskutieren. Was macht das Wesen der klassischen deutschen Philosophie aus? Sie ist sicherlich eine idealistische Philosophie. Sie ist aber auch eine Philosophie der Freiheit. Die Grundlage dieser Philosophie ist die Konzeption der Dialektik, d. h. die Theorie des Widerspruchs. Die ganze klassische deutsche Philosophie ist zugleich die Suche nach der Ursache der Veränderung, der Bewegung. Kant meinte, dass man dass=2 0nicht erkennen könne. Hegel fand die Ursache in dem absoluten Geist, der aus sich heraus seine sich widersprechenden Kategorien produziert und so sich selbst fortentwickelt, indem er durch den Kampf der sich widersprechenden Kategorien immer neue quantitative und qualitative Sprunge macht. Marx und Engels haben für sich in Anspruch genommen, diese Philosophie umgekehrt, revolutioniert, auf materialistische Grundlage gestellt und sie somit wissenschaftlich begründet zu haben. Dabei kommt dem Konzept des Proletariats auch in diesem Zusammenhang eine ganz große Bedeutung zu. Es ersetzt das Kantsche „Ding an sich“, das Fichtesche „Ich“ und den Hegelschen „Geist“. Im Kommunistischen Manifest finden wir all die Grundkategorien der klassischen deutschen Philosophie in der Anwendung, d. h. in der Aktion, wie Lenin zu sagen pflegte: Widerspruch, Immanenz, Entwicklung und Widerspiegelung. Jetzt sind sie allerdings aus der Sicht des Klassenkampfes des Proletariats neu formuliert. d) Das Kommunistischen Manifest ersetzt als Programmschrift die Katechistische Programmschriften Wenn man das Kommunistische Manifest zum ersten Mal in die Hand nimmt und versucht, darin zu lesen, kommt es einem erst ungewöhnlich vor. Denn da wird nicht im gewöhnlichen Sinne der Kommunismus definiert, sondern es wird ein gegenwärtiger Kampf mit seinen Antizipationen in der Zukunft erzählt. Mit dieser Methode brechen M arx und Engels mit der traditionellen Verfassung der Programme ab. Damit löst das Kommunistische Manifest als Programmschrift in der Neuzeit im Grunde genommen seit Thomas Morus’ Utopia bis dahin die gängige katechistische Form der Programme ab. Engels hatte sich z. B. dieser Form noch in seinen Grundsätzen des Kommunismus bedient. In der Katechismusform bedient man sich einer Frage-Antwort-Methode, wie z. B. was ist Kommunismus?, was wollen die Kommunisten?, was ist das Proletariat? usw. Dieser Methode setzt das Kommunistische Manifest ein Ende.[11] Es fängt nicht mit der Frage, was ist Kommunismus?, an, sondern mit einer Feststellung, wenn ich noch einmal zitieren darf: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“(10) Und endet dann mit dem Satz: „Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.“(77) Die Vereinigung der Proletarier aller Länder soll diese Revolution vorbereiten. Deshalb der Aufruf: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Mit diesem letzten Satz des Kommunistischen Manifests kehren Marx und Engels zum dem ersten berühmten Absatz des Vorspanns zurück, wo es heißt: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alt en Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.“(7) In der Epoche der Bourgeoisie findet also ein unausweichlicher Kampf auf Leben und Tod zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat statt und die „Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (51), also der Sozialismus tritt nicht mehr wie in alten von der Katechismusform beseelten Programmen durch irgendwelche Appelle an die Vernunft oder Moral an die Stelle der kapitalistischen Gesellschaft, sondern durch den Klassenkampf auf Leben und Tod zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Das Kommunistische Manifest stellt diesen Kampf als einen Prozess und die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft als eine Bewegung dar. Mit dieser Methode, die Marx und Engels im Kommunistischen Manifest anwenden, lösen sie die alte katechistische Form der Programmverfassung endgültig ab. Es geht ihnen also darum, mit dem Kommunistischen Manifest diesen Kampf zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat in einem Spiegel, also im Kommunistischen Manifest darzustellen. e) Die methodologische Bedeutung Auf ersten Blick wird man denken, dass diese Veränderung in der Art und Weise, wie ein politisches Programm zu Verfassen ist, der Übergang von der katechistischen Form zu der Form, die das Kommunistische Manifest darstellt, lediglich eine Formveränderung sei. Doch man muss bedenken, dass mit dieser Formveränderung auch eine inhaltliche Veränderung einhergeht. Was haben Marx und Engels zwischen dem ersten und dem letzten Satz des Kommunistischen Manifests gemacht? Ich denke dabei vor allem an die ersten zwei Kapitel. Sie definieren nicht was Kommunismus sei usw., sondern sie erzählen die Geschichte als eine Geschichte der Klassenkämpfe. Sie stellen dar, wie in der Geschichte in den verschiednen Gesellschaftsformationen aus Produktionsverhältnissen Klassen entstehen, ihre Kämpfe kämpfen, an die Machtkommen und wieder durch andere Klassen abgelöst werden und verschwinden. Sie stellen dar, wie die Bourgeoisie sich im Schosse des Feudalismus allmählich entwickelt und schließlich die feudalen Verhältnisse umwirft, als diese ihre Weiterentwicklung hemmten. Doch indem sie den Feudalismus mit alten Klassen abschafft, schafft sie auch ihre eigenen Totengräber, die Proletarier. Der Schlüssel zur Erklärung des Unterschieds zwischen der Katechismusform und der Methode, die dem Kommunistischen Manifest zu Grunde liegt, liegt vielleicht in dem Satz aus der Deutschen Ideologie, wo es heißt: „Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingu ngen dieser Bewegung ergeben sich aus den jetzt bestehenden Voraussetzungen.“[12] Marx hat diesen Gedanken und auch die Methode, die ihm zu Grunde liegt, in der Pariser Kommune von 1871 bestätigt gefunden. In seiner Schrift Der Bürgerkrieg in Frankreich beobachtet er, dass dieser Gedanke in der Wirklichkeit seine Entsprechung findet: „Die Arbeiterklasse verlangt keine Wunder von der Kommune. Sie hat keine fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluss einzuführen. Sie weiß, daß, um ihre eigene Befreiung und mit ihr jene höhere Lebensform hervorzuarbeiten, der die gegenwärtige Gesellschaft durch ihre eigne ökonomische Entwicklung unwiderstehlich entgegenstrebt, daß sie, die Arbeiterklasse, lange Kämpfe, eine ganze Reihe geschichtlicher Prozesse durchzumachen hat, durch welche die Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden. Sie hat keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben.“[13] Dieselbe Methode, die diesen beiden Zitaten zu Grunde liegt, liegt auch dem Kommunistischen Manifest zu Grunde. Als ich diese Stellen nach jahrelangem Studium der Werke von Marx und Engels zum ersten Mal las, wurde mir klar, dass ich mich einem viel intensiveren Studium der Werke von Marx und Engels unterwerfen muss. Denn was bedeutet die Feststellung, dass der Kommunismus kein Ideal, sondern die wirkliche Be wegung sei; was heißt die Feststellung, dass die Arbeiterklasse kein Ideal zu verwirklichen habe, sondern sie habe die Elemente der zukünftigen Gesellschaft, die sich im Schoße der gegenwärtigen, d. h. der Bourgeoisgesellschaft entwickeln, freizusetzen? Hierbei geht es nicht um weniger als um die Frage über das Verhältnis zwischen Sein und Bewusstsein, die die Grundfrage der Philosophie ist, nicht weniger als um die Überwindung des Dualismus zwischen Theorie und Praxis, nicht weniger als die Überwindung des Dualismus zwischen Sein und Sollen. Das sind alle Grundfragen der ganzen Philosophie, insbesondere der klassischen deutschen Philosophie seit Kant, die ihren Höhepunkt in der Hegelschen Philosophie findet. Die Antwort auf diese Fragen liegt in den obigen Zitaten und in der Methode, die dem Kommunistischen Manifest zu Grunde liegt. Dies erklärt auch, warum Marx und Engels die Katechismusform als Methode zur Verfassung der Programme verworfen mussten, um den Kampf zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat auf Leben und Tod wie einem Spiegel darzustellen. Den wichtigsten Unterschied zwischen der Katechismusform und der Form des Kommunistischen Manifests möchte ich durch das Heranziehen einer Feststellung aus Moses Hess’ Schrift Kommunistisches Bekenntnis in Fragen und Antworten verdeutlichen. In der genannten Schrift fragt Hess: „Sind die Erzeugnisse der menschlichen Gesellschaft Eigentum eines einzelnen?“ =0 A Die Antwort darauf lautet: „Nein, sie sind Eigentum der Gesellschaft.“[14] Nun jeder von uns, der ein bisschen Realitätssinn besitzt, wird Hess sofort entgegnen, dass es doch so ist, dass die Erzeugnisse der menschlichen Gesellschaft durch einige wenige privat angeeignet werden. Die Antwort von Hess darauf könnte etwa so lauten: ‚Sie haben recht. Es ist so. Es soll aber nicht so sein.’ Auf die Fragen, warum es so ist, warum es nicht so sein soll, kann Hess im Rahmen der Katechismusform keine Antwort geben, außer, dass er mit moralischer Empörung sagt: Der, der die Erzeugnisse der menschlichen Gesellschaft sich privat aneignet ist ein „Räuber“ und „Mörder“[15]. Kurz, im Rahmen der Katechismusform kann Hess nicht verdeutlichen wie es so geworden ist, wie es ist, und wie es anders wird und mit welchen Mitteln es anders wird. Es sind wohl diese Überlegungen, die Marx und Engels veranlasst haben, mit der alten Form der Programmschriften zu brechen. Wie die obigen Zitate von der Deutschen Ideologie von Der Bürgerkrieg in Frankreich belegen, wollen Marx und Engels die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft als eine immanente bzw. innere Notwendigkeit in der Geschichte begründen und verdeutlichen, dass die gegenwärtige Gesellschaft sowohl die Mittel als auch die Kräfte selbst produziert, die mittels dieser Mittel die kommunistische Gesellschaft errichten müssen. Das Programm soll deshalb=2 0die Widerspiegelung des Kampfes zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat und des Werdens des Kommunismus sein. Das Kommunistische Manifest ist also die Widerspiegelung des Werdens des Kommunismus in allgemeinen Zügen. Und da es der vorläufige Höhepunkt der wissenschaftlichen Entwicklung von Marx und Engels darstellt, ist es zugleich der Knotenpunkt zwischen ihren Werken, die dem Kommunistischen Manifest vorausgehen und denen, die darauf folgen. f) Politische und organisationstheoretische Schlussfolgerungen Die utopischen Sozialisten appellieren für die Verwirklichung des Sozialismus an die herrschenden Klassen oder im besten Falle an die ganze Gesellschaft, weil sie im Proletariat kein revolutionäres Subjekt sehen. Sie sind also nicht bestrebt, die Arbeiterklasse zur Klasse zu organisieren. Das andre Extrem ist der Falle von Blanquisten. Da sie in dem Proletariat kein revolutionäres Subjekt erkennen, führt das sie zu Theorie einer Organisation, die mit putschartigen Aktionen einer kleinen Gruppe die politische Macht erobern soll. Dadurch, dass Marx und Engels im Kommunistischen Manifest im Proletariat, und sie meinen damit eine ganz große Mehrheit der Bevölkerung, das revolutionäre Subjekt erkennen, lösen sie auch diese alten Vorstellungen von Organisation und Revolution ab. Die kommunistische Partei, die sie anstreben, ist eine Massenorganisation und die Revolution, die sie anvisieren, muss das20Werk dieser Masse sein. Wie ist nun das Verhältnis zwischen dem Proletariat und den Kommunisten zu verstehen? Die Kommunisten identifizieren sich mit den Gesamtinteressen des Proletariats. Sie sind der theoretische und praktische Organisator des Proletariats, weil sie als „praktisch der entschiedenste“ und „immer weitertreibender Teil“ der Arbeiterklasse und der Parteien des Proletariats sind. III. Zusammenfassende Schlussfolgerungen Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit dem Kommunistischen Manifests alle Elemente seiner Grundgedanken zur Disposition stehen. Das sind im Wesentlichen: Die Identifizierung des Proletariats als revolutionäres Subjekt, der grundsätzliche Interessenswiderspruch zwischen Bourgeoisie und dem Proletariats und der darauf beruhende Klassenkampf und schließlich die Organisation der kommunistischen Partei als Avantgarde des Proletariats und Lenker der Revolution. All diese Grundgedanken werden heute zur Disposition gestellt, und zwar nicht nur von den Gegnern des Kommunismus, sondern leider neuerdings auch von vielen, die den Kapitalismus unbedingt der Absicht nach überwinden wollen. 1. Da Marx und Engels ihre Klassentheorie aus den Produktionsverhältnissen und ihre Theorie des Proletariats aus der Stellung der Arbeiterklasse zu den Produktionsmitteln ableiten, stellen sie die Eigentumsfrage in den Mittelpunkt. Thomas Kuczynski hat in einem Artikel in der jungen Welt vom 22. 2. 2008 berechtigterweise darauf hingewiesen, dass diese Grundfrage noch nicht gelöst sei. Er hat allerdings gefordert, die Frage des Subjekts, das diese Grundfrage lösen soll, selbst in Frage zu stellen. Individualisierend meint er, dass die Individuen sich die Welt geistig aneignen. Er merkt aber nicht, dass die Voraussetzung der geistigen Aneignung der ganzen Welt seitens der Individuen, die praktische Aneignung der Welt ist, die durch die sozialistische Revolution erst möglich wird. Wenn die Subjektfrage aufgegeben oder individualisiert wird, fällt man in der Entwicklung der sozialistischen Theorie hinter Marx und Engels zurück und verwirft im Grunde genommen die ganze wissenschaftliche Entwicklung, die Marx und Engels durch die wissenschaftliche Begründung des Sozialismus vollzogen haben. Es bleibt dann nur noch irgendwelche Appelle an die allgemeinmenschliche Vernunft, an den Geist oder vielleicht, im Extremfall, auch an den Gott. Das Proletariat ist keine ideelle Erfindung oder von außen in die Gesellschaft hingetragenes Ding, wie der renommierte britische Historiker Eric Hobsbawm in seiner Einleitung zu der Ausgabe des Kommunistischen Manifests anlässlich des 150. Jahrestages behauptet hat. Es ist eine materielle Kraft, die in den Produktionsverhältnissen begründet ist. 2. In derselben Ausgabe des Kommunistischen Manifests hat Eric Hobsbawm ebenfalls behauptet, dass Marx und Engels keine kommunistische Partei gründen wollten. Ich meine aber die ganze praktische politische Tätigkeit von Marx und Engels widerlegt solche Behauptungen. Ohne Avantgarde kann das Proletariat weder seine Ketten brechen, noch kann es die Menschheit aus der Barbarei herausretten, in die sie gegenwärtig hineingeraten ist. Wie manche bürgerlichen Interpreten des Kommunistischen Manifests, wie A. J. P. Taylor z. B., behauptet hat, ist das Kommunistische Manifest sicher kein heiliges Buch der Kommunistinnen und Kommunisten, wie etwa die Bibel der Christen und der Koran der Muslime. Die Methode, die im Kommunistischen Manifest ihre Anwendung gefunden hat, erinnert uns an die permanente Entwicklung der Gesellschaft, die ständig in Rechnung getragen werden muss, um wissenschaftlich zu bleiben. Aber die Grundgedanken, die im Kommunistischen Manifest formuliert sind, bleiben solange gültig, solange der Kapitalismus die vorherrschende Produktionsweise bleibt. Denn diese Grundgedanken sind aus der Untersuchung des Wesens des Kapitalismus gewonnen worden. Jetzt kommt es darauf an, alle Verhältnisse umzuwerfen, in den der Mensch ein geknechtetes und erniedrigtes Dasein dulden muss. [1] Der text wurde für den zweiten Druck und die Veröffentlichung auf dem Inter net überarbeitet. [2] http://www.monthlyreview.org/598pms.htm (herunter geladen am 6.2.2008). [3] Duncker, H., Das „Manifest der kommunistischen Partei“ – das wissenschaftliche Programm der internationalen Arbeiterbewegung, Dietz Verlag, Berlin 1974, S. 14. [4] The Economist, Dezember 2002/Januar 2003. [5] Lenin, Werke 13, 409 – 501. [6] Lenin, Werke 13, 501. [7] Kautsky, K., To What Extend is the Communist Manifesto Obsolete? (http://marx.org/archive/kautsky/1904/xx/manifesto.htm). [8] Die Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe von 1967 bei Dietz Verlag Berlin. [9] Autorenkollektiv (Leitung: Galkin, A. A.), Die internationale Arbeiterbewegung – Fragen der Geschichte und der Theorie, Bd. 1, Verlag Progress, Moskau 1980, S. 416. [10] Holz, H. H., Das Kommunistische Manifest – seine historische Bedeutung, in Kommunistisches Manifest Passe?! – Marxismus im 21. Jahrhundert, in Schriftenreihe der Marx-Engels-Stiftung 32, Bonn: Pahl-Rugenstein 1999, S. 98-114; vgl. auch Richter, F. und Wrona, V., Arbeiterklasse – Weltanschauung – Partei, Dietz Verlag, Berlin 1973. [11] Das kann beispielhaft an der Gottfried Weißherts vergleichende Studie zwischen Georg Büchners „Der hessische Landbote“ und Maxens und Engels’ „Manifest der kommunistischen Partei“ gut studiert werden. Vgl. Weißert,20G., Lehrpraktische Analyse (Folge 38), Philipp Reclam jun., Stuttgart 1973. [12] Marx, K. und Engels, F., Deutsche Ideologie, MEW 3, Dietz Verlag, Berlin 1983, S. 35. [13] Marx, K., Der Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, Dietz Verlag, Berlin 1983, S. 343. [14] Hess, M., Ökonomische Schriften, Metzler Verlag, Darmstadt 1972, S 87. [15] Ebenda, S. 88. ---------------------- Doğan Göçmen Author of The Adam Smith Problem: Reconciling Human Nature and Society in The Theory of Moral Sentiments and Wealth of Nations, I. B. Tauris, London&New York 2007 ________________________________________________________________________ AOL Email goes Mobile! You can now read your AOL Emails whilst on the move. 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