[OPE] historical importance of Communist Manifest (German)

From: Doğan Göçmen (dogangoecmen@aol.com)
Date: Mon Jul 21 2008 - 17:41:04 EDT


Das „Manifest der
kommunistischen Partei“



 



Über die historische Bedeutung der Geburtsurkunde des
wissenschaftlichen Sozialismus nach 160 Jahren[1]



 



 



 



 



 






Dr.Doğan
Göçmen, Philosoph, Hamburg






 



I.                 
Einleitung



 



a)              
Am meisten verbreiteter politischer
Text



 



Das Kommunistische Manifest ist am meisten verbreiteter und gelesener
Text der politischen Literatur auf der Welt.



 



Es gibt kaum noch einen zweiten
politischen Text, der so verbreitet gelesen wird.



 



Es ist heute in fast alle Sprachen übersetzt
und auf allen Kontinenten zugänglich.



 



b)             
Neben der Bibel und dem Koran am
meisten verbreiteter und gelesener Text



 



Allgemein als Text können mit der
Verbreitung des Kommunistischen Manifests
nur noch die Bibel und der Koran mithalten.



 



Die Verbreitung dieser theologischen
Bücher wird von vielen Staaten, Kirchen und staatlichen Institutionen und
Parteien weltweit gefördert.



 



Das Kommunistische Manifest hingegen wird heute nur noch von wenigen
Staaten gefördert. Deshalb ist es bezeichnend, dass die Verbreitung des Kommunistischen Manifests, die es fast

nur aus eigener Kraft schafft, annähernd bzw. genau so groß ist wie die Bibel
und der Koran.



 



c)              
Vor
zehn Jahren – Ein Rückblick



 



Als 1998 das 150. Jahr der Publikation
des Manifest der kommunistischen Partei,
auch in Kurzform einfach „Kommunistisches Manifest“ oder das „Manifest“
genannt, weltweit gefeiert wurde, meldete sich die ganze Welt zu Wort: Sowohl
jene, die sich als Weggefährten Marx und Engels verstehen als auch jene, die
sich offen oder versteckt als Gegner definieren, schließlich auch jene, die
zwar nicht lassen können, mit der Marxschen Lehre zu kokettieren, aber auch
nicht bereit sind, sich auf sie einlassen; sie haben alle, jeder von seiner
Warte, zu Protokoll gegeben, welch eine große, gar welthistorische Bedeutung
und Wirkung das Manifest hat. Selbst
die Erzfeinde des Marxismus konnten nicht ernsthaft behaupten, auch wenn sie
dies gerne täten, dieses ursprünglich nur 23 Druckseiten ausfüllende Dokument
habe historisch keine Bedeutung. Mit dieser Einheit und Eintracht war
allerdings schnell vorbei, als es um die Beantwortung der Frage ging, ob das Kommunistische Manifest noch von
aktueller Bedeutung sei. Viele in den bürgerlichen Medien, selbst in der Tages-
und Wochenpresse, ob in der FAZ oder Die Zeit, wollten das Kommunistische Manifest wieder schnell ad acta legen und die
historische Erinnerung, die ohnehin zähneknirschend zugestanden werden musst
e,
wieder schnell vergessen machen. Wenn man dem Kommunistische Manifest überhaupt eine aktuelle Bedeutung
zugestehen wollte, dann war dies eine Negative. Man müsse aus dem Kommunistischen Manifest lernen, dass es
keinen Sinn mache, revolutionäre Programme zu schmieden und auf deren Grundlage
revolutionäre Parteien zu gründen, oder sich auf ein erfundenes Konstrukt wie
Proletariat zu berufen, das ohnehin nicht existiere. Ähnliche Behauptungen
hören wir heute leider auch aus unseren eignen, also linken Reihen, wenn ich
hier den Ausdruck zunächst im umfassenden Sinn nehmen darf. Es werden also alle
Grundgedanken, die Marx und Engels im Kommunistischen Manifest niedergeschrieben
haben, sowohl von ihren Gegnern als von vielen Linken zur Disposition gestellt:
Revolutionäres Programm, revolutionäre Partei als Avantgarde in der
Vorbereitung und Durchführung der Revolution und das Proletariat als Subjekt
der Revolution, das die werktätigen Massen um sich sammeln und in der
Revolution auf ein Ziel hin mobilisieren und führen muss. Damit impliziert man,
dass das Kommunistische Manifest
lediglich ein historisches Dokument sei, das über unsere Gegenwart nichts zu
sagen habe. Ich meine, dass dieser Behauptung von bürgerlichen Wissenschaftlern
und Philosophen immer wieder neu formuliert wird, ist ganz und gar
verständlich. Das ist ihr Beruf. Dass diese Behauptung aber auch in unseren
Reihen Vertreter findet, hat sicherlich mit der Tatsache zu tun, dass wir die
historische Bedeutung des Kommunistischen
Manifests noch nicht
 richtig verstanden haben.



 



d)             
Das
Kommunistische Manifest ist aktueller
denn je



 



Der US amerikanische Ökonom Paul M.
Sweezy, mit dem ich durchaus grundsätzliche politische Differenzen habe, sagte
auf einer Podiumsdiskussion, die anlässlich des 150. Jahrestag der Publikation
des Kommunistischen Manifests
veranstaltet wurde und von der aktuellen Bedeutung des Manifests handelte: „Ich habe
das Kommunistische Manifest wahrscheinlich mehr oder weniger ein dutzende Male
gelesen. Ich hatte nie den Eindruck, als wäre es ein alter Hut. Es war immer
wert, es noch einmal zu lesen.“[2]
Schon Hermann Duncker, in dessen Tradition ich mich gerne stelle, hat, als er
das Kommunistische Manifest für die
neu gegründete KPD 1920 herausgab, die Frage aufgeworfen, ob das Kommunistische Manifest veraltet sei.
Seine Antwort kam prompt und lautete: „Nein,
keineswegs!“. Er hat diese Einschätzung bei späteren Anlässen immer
wiederholt, so z. B. im Jahre 1948 bei den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag
des Kommunistischen Manifests.
Duncker kam etwa zehn Jahre später im Rahmen seiner Vorlesungen in den Jahren
1957 und 1958 vor Lehrern und Studenten der Parteihochschule der SED „Karl
Marx“ auf dieselbe Frage zurück. An seine Antwort hatte sich nichts verändert.
Das Kommunistische Manifest ist aktueller
denn je:: Do„Ich kann euch nur sagen,
jedes mal, wenn ich das ‚Manifest’ wieder d
urchlese (...), finde ich einen
neuen Gedanken darin. Da blitzen einem immer wieder neue Gedanken als
Edelsteine entgegen, so daß man sagt Donnerwetter! Auch das steht schon im ‚Manifest’.“[3]
Ich kann nur sagen, dass ich diese Einschätzungen von Sweezy und Duncker uneingeschränkt
teile. Ich habe das Kommunistisch
Manifest einige Male mit jungen Menschen zusammen gelesen. Es war für mich
sehr beeindruckend zu beobachten, dass sie immer wieder sagten, dass das Kommunistische Manifest hoch aktuell
ist. Dieselbe Überzeugung habe ich wieder gewonnen, als ich mich für die
heutige Veranstaltung vorbereitete.



 



Nun wird man fragen was an diesem
kleinen Pamphlet so aktuell ist? Ich meine alles, was in dem Kommunistischen Manifest an Grundsätzlichem
formuliert ist. Sicherlich sind die zeitgeschichtlichen Aspekte überholt. Das
haben Marx und Engels selbst hervorgehoben. Aber die Grundgedanken, die sie in
diesem Zusammenhang formulieren, sind heute noch von aktueller Bedeutung und
wegweisend für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um richtige Positionen
innerhalb der linken Bewegung.



 



Dabei sind es nicht wir allein, die wir,
die ‚unverbesserlichen’ Marxisten, die das behaupten. Nur 10 Jahre nach dem
Mauerfall wird Marx im Jahre 1999 in einer BBC-Umfrage zum größten Denker der
Menschheit genannt. Nach ihm kommen Albert Einstein und schließlich Isaac
Newton und Charles Darwin. Warum wollen und können die Menschen, trotz aller
Todesrhetorik und massiven
 Propaganda gegen Marx und Marxismus, auf Marx nicht
verzichten? Was hat Marx wissenschaftlich und philosophisch an Einzigartigem
geleistet? Marx muss also in der Geschichte der Menschheit etwas geleistet
haben, worauf die Menschen, die seine Leistungen unvoreingenommen beurteilen,
und das ist die sehr große Mehrheit der Menschheit, nicht verzichten wollen und
deshalb ihn zum größten Denker der Menschheitsgeschichte erklären, obwohl seine
Lehre kaum an Schulen und Universitäten gelehrt wird. Wenn man an Schulen und
Universitäten über ihn überhaupt was hört, ist das meistens etwas Negatives.



 



Die Rhetorik, Marx sei tot, ist fast
genauso alt wie seine Lehre. In den 1990er Jahren gewann diese Rhetorik an
Intensität. Nur zehn Jahre später schlägt nun das britische Wochenmagazin The Economist, also zwei Jahre nach dem
das Ergebnis der BBC-Umfrage bekannt wurde, einen Rhetorikwechsel vor. Man
solle, so die Implikation eines Aufsatzes mit dem Titel: „Marx after
Communism“, den Marxismus als eine Religion und Glaubenssystem beschreiben.
Denn er habe keine Wissenschaft begründet, sondern eine Religion. Er sei im
Gegensatz zu seiner Behauptung kein Wissenschaftler. Der Kommunismus sei tot.
Die Lehre von Marx lebe als Religion weiter und werde weiter leben.[4]



 



Dabei ist diese Rhetorik, dass die
Marxsche Lehre keine Wissenschaft, sondern eine Religion sei, gar nicht so neu.
Schon die Frankfurter Zeitung
behauptete im Jahre 1908, dass der Marxismus keine Wissenschaft,=2
0sondern eine
Religion sei. „The Economist stellt
nun nach der BBC-Umfrage fest, dass die alte Rhetorik vom ‚Tod des Marxismus’
nicht mehr greift und schlägt im Grunde genommen, dass man zu der alten
Rhetorik der Frankfurter Zeitung von
1908 zurückkehren solle, von der Lenin berichtet.[5]



Warum ist die Theorie Marxens
unwissenschaftlich? Weil er die Kategorie der Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit
in die Gesellschaftstheorie einführte; weil er die Bedeutung der Moral leugnete
und die Relativität und Bedingtheit unserer Kenntnisse außer Acht ließ. Dadurch
hat er eine ganz und gar unwissenschaftliche Utopie geschaffen und für seine
Anhänger eine Kirche errichtet. Dabei sei das nicht Mal so schlimm. Die eigentlich
schädlichste seiner Ideen ist die des Klassenkampfes. Das sei das eigentliche
und alles Übel in der Marxschen Lehre.[6]



 



Schon Karl Kautsky warf hingegen im
Jahre 1901 die Frage auf, ob das Kommunistische Manifest aufgrund der
verstrichenen Zeit obsolet geworden ist. Kautsky stellte damals, also als er
noch Revolutionär war, fest, dass wenn selbst alles, was im Manifest gesagt
wird, überholt sei, werde der Grundgedanke des Klassenkampfes solange aktuell
bleiben, solange der Kapitalismus bestehe.[7]
Das ist auch heute der Dreh- und Angelpunkt in der Diskussion über das Kommunistische
Manifest. Es geht also um nicht 
weniger als die wissenschaftliche Begründung des Sozialismus.



 



II.         =C
2     
Die
Historische Bedeutung des Kommunistischen Manifests



 



Aus
der Sicht von Marx und Engels kann man, unabhängig davon, ob man sich subjektiv
politisch rechts oder links ortet, an den Grundgedanken, die sie im Kommunistischen Manifest formuliert
haben, erkennen, wer wo objektiv steht. Die Grundgedanken des Kommunistischen
Manifests haben Marx und Engels in ihrem systematischen Zusammenhang im Unterschied
zu früheren Sozialismusvorstellungen wissenschaftlich genannt. Damit haben sie
die Theorie des Sozialismus revolutioniert. Sie haben damit bewiesen, dass
Sozialismus kein frommer Wunsch, sondern notwendig und möglich ist.



a)              
Was
verstehen Marx und Engels unter wissenschaftlichem Sozialismus?



 



Marx und Engels geben
im Kommunistischen Manifest selbe
genug Hinweise darauf, was sie unter wissenschaftlichem Sozialismus verstehen
und formulieren dabei auch historische Voraussetzungen, die den
wissenschaftlich begründeten Sozialismus überhaupt erst möglich gemacht haben.



 



Was macht den
wissenschaftlichen Sozialismus wissenschaftlich? Marx und Engels haben ihre
Sozialismustheorie im Verhältnis und in Abgrenzung zu utopischen Theorien des
Sozialismus wissenschaftlich genannt. Dabei steht vor allem der
Entwicklungsstand der Klassen und Klassenkämpfe im Mittelpunkt, mit dem das Kommunistische Manifest bekanntermaßen
anfängt:



 



„Die Geschichte aller bisherigen
Gesellschaft ist die Geschichte vo
n Klassenkämpfen.“ (S.
10)[8]



 



(Wie Sie wissen, hat
Engels diesen Satz später relativiert und wollte sie auf die Klassengesellschaften
angewandt wissen.) 



 



Weiter unten heißt es:



 



„Die aus dem Untergang der
feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft hat die
Klassengegensätze nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen
der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten
gesetzt.“ (S. 10)



 



Nachdem Marx und
Engels darauf hingewiesen haben, dass die Epoche der Bourgeoisie sich dadurch
auszeichnet, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht, machen sie folgende
Feststellung:



 



.
„Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr
und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende
Klassen: Bourgeoisie und Proletariat“ (10-11)



 



Dann stellen sie in
dem ganzen ersten Kapitel die verschiedenen Aspekte dieses Klassenkampfes dar.
Wie die Bourgeoisie sich allmählich aus der feudalen Gesellschaft entwickelt,
sie total zerstört und zur Macht gelangt. Nachdem die Bourgeoisie all die
Wunderwerke vollbringt, wird die bürgerliche Gesellschaft zu einer Hemmnis für
die ganze Gesellschaft.



 



„Die Bourgeoisie kann nicht
existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse,
also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren.

(15)



 



Und diese
Revolutionierung der Produktionsmittel, Produktionsverhältnisse und
gesellschaftlichen Verhältnisse findet weltweit statt. In der Epoche der
Bourgeoisie kann sich keine Gesellschaft, wie entlegen sie auch sein mag,
dieser Entwicklung entziehen. Die Bourgeoisie stellt Marx und Engels zufolge im
wahrsten Sinne des Wortes in der Geschichte der Menschheit zum ersten Mal eine
Weltgesellschaft her. (16-17)



 



Doch, sagen sie:



 



„Die bürgerlichen Produktions-
und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne
bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel
hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten
nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.“
(19-20)



 



Nachdem also die
Entwicklung der Produktionskräfte einen bestimmten Stand erreicht hat, geraten
sie in einen Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen. Von nun an richten
sich die Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus vernichtet hat, gegen Bourgeoisie
selbst.



 



Nun verstehen Marx
und Engels unter utopischem Sozialismus vor allem die Systeme von Saint-Simon,
Charles Fourier und Robert Owen. Deren Systeme sind in einer Zeit entstanden,
in dem die Klassenverhältnisse noch unterentwickelt waren. Sie wissen zwar,
dass sie bewusst für die unterdrückte Klassen, also das Proletariat eintreten,
sie sehen aber in dem Proletariat noch kein revolutionäres Subjekt, das die
bCrgerlichen Verhältnisse total revolutionieren kann. Deshalb tritt bei ihnen
an die Stelle der gesellschaftlichen Tätigkeit, die persönliche erfinderische
Tätigkeit, an die Stelle der gesellschaftlichen Bedingungen der Befreiung die
phantastischen bzw. ideellen Bedingungen, an die Stelle der Organisation des
Proletariats zur Klasse eine ideell entwickelte Organisation der Gesellschaft. 



 



„Die unterentwickelte Form des Klassenkampfes wie ihre eigene
Lebenslage bringen es aber mit sich, daß sie weit über jenen Klassengegensatz
erhaben zu sein glauben. Sie wollen die Lebenslage aller Gesellschaftsglieder,
auch der bestgestellten, verbessern. Sie appellieren daher fortwährend an die
ganze Gesellschaft ohne Unterschied, ja vorzugsweise an die Herrschende Klasse.
Man braucht ihr System ja nur zu verstehen, um es als den bestmöglichen Plan
der bestmöglichen Gesellschaf anzuerkennen.“ (68)



 



Marx und Engels
nennen also ihre Sozialismusvorstellung deshalb wissenschaftlich, weil sie im
Unterschied zu den utopischen Sozialisten für die Verwirklichung des
Sozialismus nicht mehr an die herrschende Klasse oder die ganze Gesellschaft appellieren,
sie appellieren nicht an die Vernunft oder Moral, sondern weil sie ihre
Sozialismusvorstellung auf den Klassenkampf gründen und diesen Kampf aus der
Sicht der Arbeiterklasse analysieren.



 



b) 
Organisationstheoretische
und Sozialhistorische Voraussetzungen für die Formulierung des wissenschaftlichen
Sozialismus



 



Das Kommunistische Ma
nifest wurde, wie
Engels in seiner „Vorrede“ zur englischen Ausgabe von 1888 bemerkte, als
„Plattform des Bundes der Kommunisten“ veröffentlicht. Die Geschichte des Bundes der Kommunisten zeigt wie er sich
als eine internationale Organisation des Proletariats allmählich von den
bürgerlichen Vorstellungen befreit und eine eigenständige Position der
Arbeiterklasse entwickelt. Er hieß zuvor Bund
der Gerechten und ging aus dem Bund
der Geächteten hervor. Der Bund der
Geächteten war 1834 in Paris von deutschen Flüchtlingen gegründet und
bekannte sich den bürgerlich republikanischen Idealen. Der Bund der Gerechten hatte sich im Jahre 1836 vom Bund der Geächteten gespalten. Der führende
Kopf des Bundes der Gerechten war Wilhelm Weitling, der sich zum
kommunistischen Ideal bekannte. Marx und Engels sind dem Bund der Gerechten Anfang 1847 beigetreten. Schon im Juni 1847
wurde der Bund der Gerechten in Bund der Kommunisten umbenannt und seine
Losung „Alle Menschen sind Brüder“ wurde durch die Losung „Proletarier aller
Länder, vereinigt Euch!“ ersetzt.



 



Diese
organisationsgeschichtliche Entwicklung, die zugleich eine
politikgeschichtliche Entwicklung ist, spielt vor dem Hintergrund einer größeren
sozialgeschichtlichen Entwicklung in Europa ab. In den dreißiger Jahren des 19.
Jahrhunderts findet die Fabrikindustrie große Verbreitung. Dies führt zur
Formierung der Arbeiterklasse als Klasse. Es entstehen selbständige ökonomische
und politische20Arbeiterorganisationen: Trade Unions und „Chartisten“ in
Großbritannien, „Gesellschaft der Jahreszeiten“ in Frankreich. Massenaktionen
der Chartisten und Owenisten in Großbritannien, Weberaufstände von 1831 und
1834 in Frankreich und der schlesische Weberaufstand vom Juni 1844 in
Deutschland. Die europäische Revolution von 1848 hat zwar die Arbeiterklasse nicht
an die Macht gebracht. Sie hat aber immerhin die Machtfrage zwischen der
Bourgeoisie und dem Proletariat in den Mittelpunkt gestellt. Die Losung der
Arbeiter in der 1848er Revolution lautete nicht einfach die Errichtung der
Republik, sondern die Errichtung einer sozialen Republik. Dies drückte sich u.
a. auch in der Symbolik aus. Welche Fahne symbolisierte z. B. die Revolution:
die Trikolore oder die rote Fahne. Diese Entwicklungen bringen eine neue Form
des Klassenkampfes zum Ausdruck, ein Klassenkampf zwischen der Bourgeoisie und
dem Proletariat, der im Kommunistischen Manifest in dem Satz seinen
Ausdruck findet:



 



„Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet,
die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen
führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier.“ (21)



 



Diese Entwicklung vom
Bund der Geächteten über den Bund der Gerechten zum Bund der Kommunisten drückt auch einen
Gesinnungswandel aus. Hierbei geht es nicht nur darum, dass sich der Standpunkt
des internationalen Proletariats allmählich vom Standpunkt der Bourgeoisie
lostrennt, s
ondern auch darum, dass sich innerhalb des Proletariats ein
bestimmter Standpunkt durchsetzt. Dabei finde ich die Begründung dieses Gesinnungswandels
sehr interessant und auch aus heutiger Sicht hoch aktuell, weil alle Parteien
sich heute irgendwie als Partei der Gerechtigkeit verstehen. In einem
Rundschreiben nach dem zweiten Kongress des Bundes
der Kommunisten heißt es: 



 



„Wir ... zeichnen uns nicht dadurch aus, daß wir
Gerechtigkeit überhaupt wollen, was jeder von sich behaupten kann, sondern
dadurch, daß wir in die bestehende Gesellschaftsordnung und das Privateigentum
angreifen, dadurch, daß wir die Gütergemeinschaft wollen, dadurch daß wir
Kommunisten sind.“[9]




 



Hier ist der Hinweis
auf das Konzept der Gerechtigkeit von großer Bedeutung. Denn indem der Bund der Kommunisten sich nicht mehr auf
solche moralisierenden Konzepte wie Gerechtigkeit gründet, sondern auf den
Klassenkampf, die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und
die Errichtung der Gütergemeinschaft, überwindet er in der Geschichte der
Arbeiterbewegung und sozialistischen Organisationen zum ersten Mal die
moralisierenden und theologisch motivierten Sozialismusvorstellungen. Von
diesem Moment an ist er eine Organisation des wissenschaftlichen Sozialismus,
der aus der Sicht von Marx und Engels nur vom Standpunkt der Arbeiterklasse
formuliert werden kann.



 



Für die
Revolutionierung und damit wissenschaftliche Begründung des Sozialismus gibt es
auch philosophische Voraussetzungen
, die Hans Heinz Holz in einem Beitrag in
dem Band Kommunistisches Manifest Passe?!
– Marxismus im 21. Jahrhundert ausführlich dargestellt hat[10].
Ich werde hier nur kurz darauf eingehen können.



 



c)  
Philosophische
Voraussetzungen für die Formulierung des wissenschaftlichen Sozialismus



 



Die
wissenschaftlich-philosophische Revolution, die der Sozialismusvorstellung im Kommunistischen Manifest zu Grunde
liegt, wurde von Engels Darwins Revolutionierung der Naturwissenschaften gleich
gestellt. Und es scheint mir nicht zufällig zu sein, dass seitdem der Marxismus
nach dem Zusammenbruch des reell existierenden Sozialismus weltweit an Ansehen
verloren hat, Darwins Evolutionstheorie gleichermaßen unter Beschuss geraten
ist. Darin sind sich Bush und Ratzinger, der Häuptling im Vatikan, einig: Die
Evolutionstheorie von Darwin muss bekämpft werden.



 



Bekanntlich tritt der
Marxismus das Erbe der klassischen deutschen Philosophie an. Im Kommunistischen
Manifest gibt es nur einige indirekte Hinweise darauf, vor allem da, wo Marx
und Engels den wahren Sozialismus diskutieren.



 



Was macht das Wesen
der klassischen deutschen Philosophie aus? Sie ist sicherlich eine
idealistische Philosophie. Sie ist aber auch eine Philosophie der Freiheit. Die
Grundlage dieser Philosophie ist die Konzeption der Dialektik, d. h. die
Theorie des Widerspruchs. Die ganze klassische deutsche Philosophie ist
zugleich die Suche nach der Ursache der Veränderung, der Bewegung. Kant meinte,
dass man dass=2
0nicht erkennen könne. Hegel fand die Ursache in dem absoluten
Geist, der aus sich heraus seine sich widersprechenden Kategorien produziert
und so sich selbst fortentwickelt, indem er durch den Kampf der sich
widersprechenden Kategorien immer neue quantitative und qualitative Sprunge
macht.



 



Marx und Engels haben
für sich in Anspruch genommen, diese Philosophie umgekehrt, revolutioniert, auf
materialistische Grundlage gestellt und sie somit wissenschaftlich begründet zu
haben. Dabei kommt dem Konzept des Proletariats auch in diesem Zusammenhang eine
ganz große Bedeutung zu. Es ersetzt das Kantsche „Ding an sich“, das Fichtesche
„Ich“ und den Hegelschen „Geist“. Im Kommunistischen
Manifest finden wir all die Grundkategorien der klassischen deutschen
Philosophie in der Anwendung, d. h. in der Aktion, wie Lenin zu sagen pflegte:
Widerspruch, Immanenz, Entwicklung und Widerspiegelung. Jetzt sind sie
allerdings aus der Sicht des Klassenkampfes des Proletariats neu formuliert.



 



d)             
Das
Kommunistischen Manifest ersetzt als Programmschrift die Katechistische
Programmschriften



 



Wenn man das Kommunistische Manifest zum ersten Mal in die Hand nimmt und
versucht, darin zu lesen, kommt es einem erst ungewöhnlich vor. Denn da wird
nicht im gewöhnlichen Sinne der Kommunismus definiert, sondern es wird ein
gegenwärtiger Kampf mit seinen Antizipationen in der Zukunft erzählt. Mit dieser
Methode brechen M
arx und Engels mit der traditionellen Verfassung der Programme
ab. Damit löst das Kommunistische
Manifest als Programmschrift in der Neuzeit im Grunde genommen seit Thomas
Morus’ Utopia bis dahin die gängige katechistische Form der Programme
ab. Engels hatte sich z. B. dieser Form noch in seinen Grundsätzen des Kommunismus bedient. In der Katechismusform bedient
man sich einer Frage-Antwort-Methode, wie z. B. was ist Kommunismus?, was
wollen die Kommunisten?, was ist das Proletariat? usw. Dieser Methode setzt das
Kommunistische Manifest ein Ende.[11]
Es fängt nicht mit der Frage, was ist Kommunismus?, an, sondern mit einer
Feststellung, wenn ich noch einmal zitieren darf:



 



„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von
Klassenkämpfen.“(10)



 



Und endet dann mit dem Satz: 



 



„Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution
zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie
haben eine Welt zu gewinnen.“(77)



 



Die Vereinigung der Proletarier
aller Länder soll diese Revolution vorbereiten. Deshalb der Aufruf: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“



 



Mit diesem letzten Satz des Kommunistischen Manifests kehren Marx
und Engels zum dem ersten berühmten Absatz des Vorspanns zurück, wo es heißt: 



 



„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle
Mächte des alt
en Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies
Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische
Radikale und deutsche Polizisten.“(7)



 



In der Epoche der Bourgeoisie findet
also ein unausweichlicher Kampf auf Leben und Tod zwischen der Bourgeoisie und
dem Proletariat statt und die „Assoziation, worin die freie Entwicklung eines
jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (51), also der
Sozialismus tritt nicht mehr wie in alten von der Katechismusform beseelten
Programmen durch irgendwelche Appelle an die Vernunft oder Moral an die Stelle
der kapitalistischen Gesellschaft, sondern durch den Klassenkampf auf Leben und
Tod zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Das Kommunistische Manifest stellt diesen Kampf als einen Prozess und
die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft als eine Bewegung dar. Mit
dieser Methode, die Marx und Engels im Kommunistischen Manifest anwenden,
lösen sie die alte katechistische Form der Programmverfassung endgültig ab. Es
geht ihnen also darum, mit dem Kommunistischen
Manifest diesen Kampf zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat in einem
Spiegel, also im Kommunistischen Manifest darzustellen.



 



 



e)              
Die
methodologische Bedeutung 



 



Auf ersten Blick wird man denken,
dass diese Veränderung in der Art und Weise, wie ein politisches Programm zu
Verfassen ist, der Übergang von der katechistischen Form zu 
der Form, die das Kommunistische
Manifest darstellt, lediglich eine Formveränderung sei. Doch man muss
bedenken, dass mit dieser Formveränderung auch eine inhaltliche Veränderung
einhergeht. 



 



Was haben Marx und Engels zwischen
dem ersten und dem letzten Satz des Kommunistischen
Manifests gemacht? Ich denke dabei vor allem an die ersten zwei Kapitel.
Sie definieren nicht was Kommunismus sei usw., sondern sie erzählen die
Geschichte als eine Geschichte der Klassenkämpfe. Sie stellen dar, wie in der
Geschichte in den verschiednen Gesellschaftsformationen aus
Produktionsverhältnissen Klassen entstehen, ihre Kämpfe kämpfen, an die
Machtkommen und wieder durch andere Klassen abgelöst werden und verschwinden.
Sie stellen dar, wie die Bourgeoisie sich im Schosse des Feudalismus allmählich
entwickelt und schließlich die feudalen Verhältnisse umwirft, als diese ihre
Weiterentwicklung hemmten. Doch indem sie den Feudalismus mit alten Klassen
abschafft, schafft sie auch ihre eigenen Totengräber, die Proletarier.



 



Der Schlüssel zur Erklärung des
Unterschieds zwischen der Katechismusform und der Methode, die dem Kommunistischen
Manifest zu Grunde liegt, liegt vielleicht in dem Satz aus der Deutschen
Ideologie, wo es heißt:



 



„Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich
zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die
Bedingu
ngen dieser Bewegung ergeben sich aus den jetzt
bestehenden Voraussetzungen.“[12]




 



Marx hat diesen Gedanken und auch
die Methode, die ihm zu Grunde liegt, in der Pariser Kommune von 1871 bestätigt
gefunden. In seiner Schrift Der Bürgerkrieg in Frankreich beobachtet er,
dass dieser Gedanke in der Wirklichkeit seine Entsprechung findet:



 



„Die Arbeiterklasse verlangt keine Wunder von der Kommune. Sie hat keine
fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluss einzuführen. Sie weiß, daß, um
ihre eigene Befreiung und mit ihr jene höhere Lebensform hervorzuarbeiten, der
die gegenwärtige Gesellschaft durch ihre eigne ökonomische Entwicklung
unwiderstehlich entgegenstrebt, daß sie, die Arbeiterklasse, lange Kämpfe, eine
ganze Reihe geschichtlicher Prozesse durchzumachen hat, durch welche die
Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden. Sie hat keine Ideale zu
verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu
setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft
entwickelt haben.“[13]



 



Dieselbe Methode, die diesen beiden
Zitaten zu Grunde liegt, liegt auch dem Kommunistischen Manifest zu
Grunde. Als ich diese Stellen nach jahrelangem Studium der Werke von Marx und
Engels zum ersten Mal las, wurde mir klar, dass ich mich einem viel
intensiveren Studium der Werke von Marx und Engels unterwerfen muss. Denn was
bedeutet die Feststellung, dass der Kommunismus kein Ideal, sondern die
wirkliche Be
wegung sei; was heißt die Feststellung, dass die Arbeiterklasse
kein Ideal zu verwirklichen habe, sondern sie habe die Elemente der zukünftigen
Gesellschaft, die sich im Schoße der gegenwärtigen, d. h. der
Bourgeoisgesellschaft entwickeln, freizusetzen?



 



Hierbei geht es nicht um weniger als
um die Frage über das Verhältnis zwischen Sein und Bewusstsein, die die
Grundfrage der Philosophie ist, nicht weniger als um die Überwindung des
Dualismus zwischen Theorie und Praxis, nicht weniger als die Überwindung des
Dualismus zwischen Sein und Sollen. Das sind alle Grundfragen der ganzen
Philosophie, insbesondere der klassischen deutschen Philosophie seit Kant, die
ihren Höhepunkt in der Hegelschen Philosophie findet. Die Antwort auf diese
Fragen liegt in den obigen Zitaten und in der Methode, die dem Kommunistischen
Manifest zu Grunde liegt. Dies erklärt auch, warum Marx und Engels die
Katechismusform als Methode zur Verfassung der Programme verworfen mussten, um
den Kampf zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat auf Leben und Tod wie
einem Spiegel darzustellen.



 



Den wichtigsten Unterschied zwischen
der Katechismusform und der Form des Kommunistischen
Manifests möchte ich durch das Heranziehen einer Feststellung aus Moses
Hess’ Schrift Kommunistisches Bekenntnis in Fragen und Antworten
verdeutlichen.



 



In der genannten Schrift fragt Hess:




 



„Sind die Erzeugnisse der menschlichen Gesellschaft Eigentum eines
einzelnen?“



 
=0
A

Die Antwort darauf lautet:



 



„Nein, sie sind Eigentum der Gesellschaft.“[14]



 



Nun jeder von uns, der ein bisschen
Realitätssinn besitzt, wird Hess sofort entgegnen, dass es doch so ist,
dass die Erzeugnisse der menschlichen Gesellschaft durch einige wenige privat
angeeignet werden. Die Antwort von Hess darauf könnte etwa so lauten: ‚Sie
haben recht. Es ist so. Es soll aber nicht so sein.’ Auf die
Fragen, warum es so ist, warum es nicht so sein soll, kann Hess im Rahmen der
Katechismusform keine Antwort geben, außer, dass er mit moralischer Empörung
sagt: Der, der die Erzeugnisse der menschlichen Gesellschaft sich privat aneignet
ist ein „Räuber“ und „Mörder“[15].
Kurz, im Rahmen der Katechismusform kann Hess nicht verdeutlichen wie es so geworden
ist, wie es ist, und wie es anders wird und mit welchen Mitteln es
anders wird.



 



Es sind wohl diese Überlegungen, die
Marx und Engels veranlasst haben, mit der alten Form der Programmschriften zu
brechen. Wie die obigen Zitate von der Deutschen Ideologie von Der
Bürgerkrieg in Frankreich belegen, wollen Marx und Engels die Errichtung
der kommunistischen Gesellschaft als eine immanente bzw. innere Notwendigkeit
in der Geschichte begründen und verdeutlichen, dass die gegenwärtige
Gesellschaft sowohl die Mittel als auch die Kräfte selbst produziert, die
mittels dieser Mittel die kommunistische Gesellschaft errichten müssen. Das
Programm soll deshalb=2
0die Widerspiegelung des Kampfes zwischen der Bourgeoisie
und dem Proletariat und des Werdens des Kommunismus sein. Das Kommunistische
Manifest ist also die Widerspiegelung des Werdens des Kommunismus in
allgemeinen Zügen. Und da es der vorläufige Höhepunkt der wissenschaftlichen
Entwicklung von Marx und Engels darstellt, ist es zugleich der Knotenpunkt
zwischen ihren Werken, die dem Kommunistischen
Manifest vorausgehen und denen, die darauf folgen. 



 



f)                
Politische
und organisationstheoretische Schlussfolgerungen



 



Die utopischen Sozialisten
appellieren für die Verwirklichung des Sozialismus an die herrschenden Klassen
oder im besten Falle an die ganze Gesellschaft, weil sie im Proletariat kein revolutionäres
Subjekt sehen. Sie sind also nicht bestrebt, die Arbeiterklasse zur Klasse zu
organisieren. Das andre Extrem ist der Falle von Blanquisten. Da sie in dem
Proletariat kein revolutionäres Subjekt erkennen, führt das sie zu Theorie
einer Organisation, die mit putschartigen Aktionen einer kleinen Gruppe die
politische Macht erobern soll.



 



Dadurch, dass Marx und Engels im Kommunistischen
Manifest im Proletariat, und sie meinen damit eine ganz große Mehrheit der
Bevölkerung, das revolutionäre Subjekt erkennen, lösen sie auch diese alten Vorstellungen
von Organisation und Revolution ab. Die kommunistische Partei, die sie
anstreben, ist eine Massenorganisation und die Revolution, die sie anvisieren,
muss das20Werk dieser Masse sein.



 



Wie ist nun das Verhältnis zwischen
dem Proletariat und den Kommunisten zu verstehen? Die Kommunisten
identifizieren sich mit den Gesamtinteressen des Proletariats. Sie sind der
theoretische und praktische Organisator des Proletariats, weil sie als
„praktisch der entschiedenste“ und „immer weitertreibender Teil“ der
Arbeiterklasse und der Parteien des Proletariats sind.



 



III.            
Zusammenfassende
Schlussfolgerungen



 



Ich habe eingangs darauf
hingewiesen, dass im Zusammenhang mit dem Kommunistischen Manifests alle
Elemente seiner Grundgedanken zur Disposition stehen. Das sind im Wesentlichen:
Die Identifizierung des Proletariats als revolutionäres Subjekt, der
grundsätzliche Interessenswiderspruch zwischen Bourgeoisie und dem Proletariats
und der darauf beruhende Klassenkampf und schließlich die Organisation der
kommunistischen Partei als Avantgarde des Proletariats und Lenker der
Revolution. All diese Grundgedanken werden heute zur Disposition gestellt, und
zwar nicht nur von den Gegnern des Kommunismus, sondern leider neuerdings auch
von vielen, die den Kapitalismus unbedingt der Absicht nach überwinden wollen.



 



1.                                      
Da
Marx und Engels ihre Klassentheorie aus den Produktionsverhältnissen und ihre
Theorie des Proletariats
 aus der Stellung der Arbeiterklasse zu den
Produktionsmitteln ableiten, stellen sie die Eigentumsfrage in den Mittelpunkt.
Thomas Kuczynski hat in einem Artikel in der jungen Welt vom 22. 2. 2008
berechtigterweise darauf hingewiesen, dass diese Grundfrage noch nicht gelöst
sei. Er hat allerdings gefordert, die Frage des Subjekts, das diese Grundfrage
lösen soll, selbst in Frage zu stellen. Individualisierend meint er, dass die
Individuen sich die Welt geistig aneignen. Er merkt aber nicht, dass die
Voraussetzung der geistigen Aneignung der ganzen Welt seitens der Individuen,
die praktische Aneignung der Welt ist, die durch die sozialistische Revolution
erst möglich wird. Wenn die Subjektfrage aufgegeben oder individualisiert wird,
fällt man in der Entwicklung der sozialistischen Theorie hinter Marx und Engels
zurück und verwirft im Grunde genommen die ganze wissenschaftliche Entwicklung,
die Marx und Engels durch die wissenschaftliche Begründung des Sozialismus
vollzogen haben. Es bleibt dann nur noch irgendwelche Appelle an die allgemeinmenschliche
Vernunft, an den Geist oder vielleicht, im Extremfall, auch an den Gott. Das
Proletariat ist keine ideelle Erfindung oder von außen in die Gesellschaft
hingetragenes Ding, wie der renommierte britische Historiker Eric Hobsbawm in
seiner Einleitung zu der Ausgabe des Kommunistischen Manifests
anlässlich des 150. Jahrestages behauptet hat. Es ist eine materielle Kraft,
die in den Produktionsverhältnissen begründet ist.



2.             
                         
In
derselben Ausgabe des Kommunistischen Manifests hat Eric Hobsbawm
ebenfalls behauptet, dass Marx und Engels keine kommunistische Partei gründen
wollten. Ich meine aber die ganze praktische politische Tätigkeit von Marx und
Engels widerlegt solche Behauptungen. Ohne Avantgarde kann das Proletariat
weder seine Ketten brechen, noch kann es die Menschheit aus der Barbarei
herausretten, in die sie gegenwärtig hineingeraten ist.



 



Wie manche bürgerlichen Interpreten
des Kommunistischen Manifests, wie A. J. P. Taylor z. B., behauptet hat,
ist das Kommunistische Manifest sicher kein heiliges Buch der Kommunistinnen
und Kommunisten, wie etwa die Bibel der Christen und der Koran der Muslime. Die
Methode, die im Kommunistischen Manifest ihre Anwendung gefunden hat,
erinnert uns an die permanente Entwicklung der Gesellschaft, die ständig in
Rechnung getragen werden muss, um wissenschaftlich zu bleiben. Aber die
Grundgedanken, die im Kommunistischen Manifest formuliert sind, bleiben solange
gültig, solange der Kapitalismus die vorherrschende Produktionsweise bleibt.
Denn diese Grundgedanken sind aus der Untersuchung des Wesens des Kapitalismus
gewonnen worden. Jetzt kommt es darauf an, alle Verhältnisse umzuwerfen, in den
der Mensch ein geknechtetes und erniedrigtes Dasein dulden muss.



 
















[1] Der text
wurde für den zweiten Druck und die Veröffentlichung auf dem Inter
net
überarbeitet. 









[2]
http://www.monthlyreview.org/598pms.htm
(herunter geladen am 6.2.2008).









[3] Duncker, H., Das „Manifest der kommunistischen Partei“ –
das wissenschaftliche Programm der internationalen Arbeiterbewegung, Dietz
Verlag, Berlin 1974, S. 14.









[4] The
Economist, Dezember 2002/Januar 2003.









[5] Lenin, Werke
13, 409 – 501.









[6] Lenin, Werke
13, 501.









[7] Kautsky, K., To What Extend is the Communist
Manifesto Obsolete? (http://marx.org/archive/kautsky/1904/xx/manifesto.htm).









[8] Die
Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe von 1967 bei Dietz Verlag Berlin.









[9]
Autorenkollektiv (Leitung: Galkin, A. A.), Die
internationale Arbeiterbewegung – Fragen der Geschichte und der Theorie,
Bd. 1, Verlag Progress, Moskau 1980, S. 416.









[10] Holz, H. H.,
Das Kommunistische Manifest – seine historische Bedeutung, in Kommunistisches Manifest Passe?! – Marxismus
im 21. Jahrhundert, in Schriftenreihe der Marx-Engels-Stiftung 32, Bonn:
Pahl-Rugenstein 1999, S. 98-114; vgl. auch Richter, F. und Wrona, V.,
Arbeiterklasse – Weltanschauung – Partei, Dietz Verlag, Berlin 1973.









[11] Das kann
beispielhaft an der Gottfried Weißherts vergleichende Studie zwischen Georg
Büchners „Der hessische Landbote“ und Maxens und Engels’ „Manifest der
kommunistischen Partei“ gut studiert werden. Vgl. Weißert,20G., Lehrpraktische
Analyse (Folge 38), Philipp Reclam jun., Stuttgart 1973.









[12] Marx, K. und
Engels, F., Deutsche Ideologie, MEW 3, Dietz Verlag, Berlin 1983, S. 35.









[13] Marx, K., Der
Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, Dietz Verlag, Berlin 1983, S. 343.









[14] Hess, M.,
Ökonomische Schriften, Metzler Verlag, Darmstadt 1972, S 87.









[15] Ebenda, S.
88.









 


 ----------------------
Doğan Göçmen
Author of The Adam Smith Problem:
Reconciling Human Nature and Society in
The Theory of Moral Sentiments and Wealth of Nations,
I. B. Tauris, London&New York 2007

________________________________________________________________________
AOL Email goes Mobile! You can now read your AOL Emails whilst on the move. Sign up for a free AOL Email account with unlimited storage today.



_______________________________________________
ope mailing list
ope@lists.csuchico.edu
https://lists.csuchico.edu/mailman/listinfo/ope


This archive was generated by hypermail 2.1.5 : Thu Jul 31 2008 - 00:00:10 EDT