Fujifilm TX-1 (die "Japanische XPan")

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Wie man ein Panorama ausschneidet

 

Wenn wir durch den Sucher einer Kamera schauen, sehen wir einen gerahmten Teil der Welt. Für die meisten Fotografen ist dieser Rahmen ein Rechteck mit einem Seitenverhältnis von 3:2, und die Fotografen halten die Kamera entweder flach oder aufrecht, je nachdem, ob sie ein horizontales oder vertikales Bild schießen wollen. Wenn ich mit den Nikons arbeite, drehe ich fast vor jeder Aufnahme die Kamera vertikal und horizontal, und ich drücke ab, wenn mir die Ausrichtung des Rahmens passend scheint. Für viele MF-Fotografen wie mich selbst als Hasselblad-Benutzer, ist der Rahmen für mein fotografisches Auge ein Quadrat. Aber obwohl ich in meinem Sucher ein quadratisches Bild sehe, weiß ich bei neun von zehn Fotos schon im Augenblick der Aufnahme, ob ich dieses Bild horizontal oder vertikal beschneiden werde. Das heißt, ich sehe schon, wie ich das Bild in wenigstens einer Dimension beschneide. Aber bei den übrigen zehn Prozent wird das endgültige Bild anders als wührend der Aufnahme erwartet; ich drucke ein waagrecht gesehenes Bild senkrecht und umgekehrt, und manchmal beide Formate aus einem Ausgangsdia. Die große Bildfläche und das quadratische Format erlauben es mir, das Foto zu schießen, und mir die Entscheidung hinsichtlich der Bildgestaltung für später aufzuheben.

Aufgenommen mit Hasselblad 503CX und Zeiss Sonnar SA 5,6/250mm

Panoramabilder faszinieren mich schon seit geraumer Zeit, vor allem Landschaften; und ich habe schon eine extreme Panoramasicht der österreichischen Alpen mit einer langen Brennweite und der "quadratischen" Hasselblad gemacht, wo ich schon bei der Aufnahme wusste, dass ich das Bild später drastisch beschneiden würde. Als ich letzten Herbst eine billige Panoramakamera entdeckte, eine Horizon 202, kaufte ich sie um zu sehen, wie ich damit zurechtkäme. (Einen Bericht über diese Kamera gibt es hier.) Meine Schlussfolgerung aus diesen Tests war: Ja, ich will eine Panoramakamera, aber ohne die Schwächen des rotierenden Systems. Da ich mittelfristig auch die Anschaffung einer Sucherkamera geplant hatte, fiel meine Wahl auf die einzige Kamera, die beides ist: die Hasselblad XPan.

Liest man Quellen über Panoramakameras, findet man öfters den Satz: "Einige Landschaften (wie der Südwesten der USA) bieten sich für Panorama geradezu an". Genau in diese Gegend wollte ich im März 2002 fahren, und so entschloss ich mich, noch vor dieser Reise eine XPan zu kaufen und sie neben meinem Standard 6x6 System mitzunehmen. So suchte ich im Web nach einer günstigen oder auch gebrauchten XPan, und dabei stieß ich auf die Fujifilm TX-1, die (fast*) identisch mit der XPan ist. Beide werden von Fuji erzeugt, aber die Fuji wird nur in Japan verkauft, die Hasselblad teurer im Rest der Welt. Ebay ermöglichte es mir, eine TX-1 günstig zu finden und über einen "camerafriend" in Japan zu erwerben.

Doch während die Kamera auf ihrem Weg nach Europa war, schien die Reise nach USA plötzlich fraglich und musste dann wirklich abgesagt werden. Als das TX-1 Set in Wien ankam, hielt ich die "ideale Kamera" für eine Gegend in der Hand, in die ich nicht fahren sollte. Doch einfach nur die Kamera zu halten und durch den Sucher zu schauen zeigte mir, dass ich die TX-1 unbedingt gleich verwenden wollte. Sie liegt gut in der Hand, ist relativ leicht fr jemand, der 10 und mehr Kilo Kamerazeug zu schleppen gewohnt ist, und das typische Sucherbild mit dem Schärfefenster erinnerte mich an "meine" erste Kamera, die Agfa Carat 4. Ich nahm die Kamera mit der 30mm Superwide-Optik überall in Wien mit.

Und die Kamera änderte meine Sichtweise der Stadt. Zuerst schien sie noch unnütz. Das extreme Seitenverhältnis von 2,7:1 bietet sich für Städtelandschaften nicht wirklich an, und auch Schnappschüsse der Menschen in der Stadt drängten sich nicht auf. Gewohnt an das quadratische Format, fehlte mir im Sucher der TX-1 oben und unten zu viel, und die vertikale Haltung zeigte mir ein viel zu schmales Bild. Dennoch machte ich ein paar Fotos rund um die Ringstraße, wie ich auch schon mit der Horizon gemacht hatte; überzeugt war ich davon aber nicht. Nachdem ich die Kamera ein paar Tage mit mir herumgetragen hatte, nachdem ich Dutzende Male durch den Sucher geschaut hatte ohne aber abzudrücken, weil das Bild mir nicht gefiel, fragte ich mich, ob ich nicht trotz allem ein paar Aufnahmen mit "Nicht-Panorama-Motiven" belichten sollte, einfach so halt. Ich streifte eben auf der Suche nach Motiven durch das neue Wiener Museumsquartier MuQua. Die Mischung von alter und neuer Architektur im Breitbildsucher zeigte mir, dass einige der "fehlenden" Teile des Bildes durchaus entbehrlich waren. So tastete ich mich im wahrsten Sinn des Wortes Schritt für Schritt zu neuen Perspektiven vor, wobei ich dem, was ich im Sucher wegließ genauso bedachte wie das, was im Bild bleiben sollte. In wenigen Minuten war der Film fertig belichtet, und die nächste Rolle auch. Am nächsten Tag ging ich zu einer anderen Tageszeit wieder ins MuQua, und während die Filme vom Vortag im Labor entwickelt wurden, schoß ich ein paar weitere. Die Resultate überraschten mich. Ich hatte mir in wenigen Stunden eine Theorie zurechtgelegt und auch gleich recht ansprechend fotografisch umgesetzt: dass nämlich bei (Panorama-) Fotos das, was nicht zu sehen ist, genauso wichtig ist wie das, was man sieht. Der Trick, Panoramafotos von nicht-für-Panorama-geeigneten Motiven zu machen, ist, schon bei der Aufnahme ein quadratisches Bild extrem zu beschneiden; man kann auch sagen, man schneidet einen schmalen Streifen aus einer quadratischen Wirklichkeit, wenn man auf den Auslöser drückt. Ich brauchte mich nur davon zu überzeugen, dass ich eigentlich keine Panoramabilder mache, sondern Panoramastreifen aus einer Nicht-Panorama-Welt herausschneide.

Das gewohnte quadratische Format ist ungeheuer vielfältig und nützlich. Wie oben gesagt, gibt es mir die Möglichkeit, horizontale und vertikale Bilder in einer Aufnahme zu schießen; es erlaubt mir, zuerst abzudrücken und später festzulegen, wie das Bild aussehen soll. Das 2,7:1 Panoramaformat ist lange nicht so vielseitig. Es bedeutet nämlich, dass ich bei jedem Druck auf den Auslöser schon wissen muss, dass der Rahmen, den ich im Sucher habe, auch das endgültige Bild sein wird. Keine Möglichkeit umzudenken, wenn der Film aus dem Labor kommt und im Scanner liegt. Dann kann man das Bild nur überhaupt verwerfen.

Der Trick, nicht-panoramische Objekte mit der Panoramakamera zu fotografieren besteht darin, das Objekt schon beim Abdrücken zu beschneiden. Wenn man so will: man muss immer versuchen, eine Scheibe aus einer quadratischen/rechteckigen/runden Welt herauszuschneiden. Ich habe mir beigebracht, dass ich keine Panoramabilder mache, sondern aus einer unpanoramischen Welt dünne Panoramas herausschneide.

* fast gleich: Der auffallendste Unterschied ist die Optik: Die Fujifilm ist nicht schwarz, sondern zeigt ih metallenes Titanium, das sogar mir, einem Verfechter der Schwarz-Grau-Weiß-Mode schöner erscheint. Der einzige technische Unterschied ist der Sucher fürs 30mm Objektiv. Der hat nicht den offset des Hasselblad-Suchers, sondern ist direkt über dem Blitzschuh und somit direkt über der Linse. Da der Aufstecksucher natürlich keine Parallaxenkorrektur hat, finde ich das von Vorteil. Als Hasselblad-Benutzer war ich nicht überrascht, dass der im Aufstecksucher eingespiegelte Rahmen weniger als den tatsächlichen Ausschnitt auf dem Film zeigt. Das ist ähnlich wie beim Sucher der 903 SWC. Als Beispiel zeige ich ein Foto vom Wiener Burgtheater. Es wurde genau von der Stelle fotografiert, wo die linken und rechten Vertikalen des Sucherrahmens genau über den linken und rechten Wänden des Hauses lagen (innerhalb des Sucherrahmens lagen also etwa die helleren Teile des Bildes). Man beachte, wie viel mehr auf dem Foto war! Das endgültige Bild zeigt nur knapp weniger als das gesamte Sucherbild, liegt also etwa zwischen dem gesamten Sucherbild und dem eingespiegelten Rahmen.

Charles Bridge and Castle Hill, Prague

TX-1, Fujinon 5,6/30mm mit center filter; f-8, automatische Belichtung.

Keine Ahnung, ob der Hasselblad Sucher dieselbe Abweichung zeigt.

 

February 2003, © Günter K. Haika